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#kleinedingegroßbeschreiben#refugium#immerderselbeweg

Blattwerk

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Blattwerk | story.one

Vernissage, 2. November 2020

Der Weg ruft. Wir müssen hin. Walddinge sammeln. Walddinge kombinieren. Land-Art machen. Die Hände verbinden mit Vorstellungskraft.

Raschelnd stapfen wir durch das Laub bis zur Waldpforte.

„Der Wald macht ziemlich Krach“, sage ich und meine nicht das Rascheln.

„Das sind fallende Blätter.“

So laut? In der Tat: Da schweben dicke, große Blätter herunter, streifen geräuschvoll durchs Geäst. Warum kommt mir dabei „Krach“ in den Sinn? Vor Kurzem hatten wir einen Krach hier. Macht sich der Wald über uns lustig? Oder fühle ich mich dem Wald so verbunden, dass ich in meiner Wortwahl nicht mehr zwischen Mensch und Natur unterscheide? Denn seit rund acht Monaten haben wir mit dem Wald eine gemeinsame Geschichte.

Die Blätter bleiben in den nackten Zweigen hängen, als Kunstwerke, die gesehen werden wollen. Ein „Giftgrüner Kreis auf gelbem Grund“ landet auf einer Astgabel und zeigt seine Pracht. Der Ahorn ist ein erfahrener Maler, er punktet und sprenkelt. Er lockt.

Der Wald macht Kunst. WaldArt. Eintritt frei.

Die Eiche lässt gelbe, grüne und schwarze Aquarellfarben ineinanderfließen.

Die Buche ist experimentierfreudig. Auf dem einen Blattwerk prangt eine Inschrift, eine mysteriöse Botschaft in Hieroglyphen, eingebrannt durch Verwesungslinien. In das andere Blatt stanzt sie Löcher, damit Lichter hindurchblinken.

Die Birke liebt die Bildhauerei. Ein letztes bizarres braunes Blättchen behauptet seine Stellung am Zweig. Ein Skulptürchen des Trotzes.

Bahnbrechend die Brombeere: Feuerrote Blutflecken stechen aus saftigem Grün.

Die Gewöhnliche Pestwurz erstrahlt in modriger Noblesse.

Der Farn präsentiert seine wüstenfarbene Kollektion mit Fächern aus gekräuselter Spitze.

Die Mistel entwirft formvollendete Ringe, die sie über die Astfinger streift.

Auch der Waldboden beteiligt sich mit aufsehenerregenden Installationen: Nasse Oberflächen reflektieren Fliegenpilzrot.

Und wie im Kino rangeln sich die knallig-bunten Blätter der Hain- und Rotbuchen um die Plätze in der ersten Reihe.

Wer inspiriert hier wen? Wir nehmen Walddinge in die Hand und beginnen …

Genüsslich raschelnd stapfen wir aus dem Wald wieder hinaus – und halten inne: Die Blätter stehen in Flammen. Sind das nicht ohnehin der Blätter ursprüngliche Farben, denke ich.

Zu Hause tänzelt der Ginkgo im Gelbeblätterfunkenreigen.

© Brigitte Hieber 2020-11-16

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