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Der mit den langen Fingern

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Der mit den langen Fingern | story.one

Spanien 1984. Regen.

Es schĂŒttet. Unser Zelt auf dem Campingplatz ist innen kaum mehr trocken zu halten. Zudem ist es kalt und das Mitte Mai. Dabei hatten wir uns so auf Toledo gefreut! Aber durch die dunklen engen Gassen der Altstadt rinnen schmutzige BĂ€che. Ein Schock nach den weißen Dörfern und StĂ€dten Andalusiens. Also, schleunigst abhaken und abreisen!

Doch dann entdecken wir die gemĂŒtlichen CafĂ©s. Und hĂ€ngen noch einen Tag dran. Heute noch sehe ich uns den ganzen Nachmittag in einem dieser CafĂ©s sitzen. Ich sehe mich an einem der Tischchen am Fenster, vor mir die x-te Tasse Kaffee. So viel Muße! Ich schaue hinaus in den Regen. Dicke Tropfen zerplatzen auf dem Kopfsteinpflaster. Es ist, als gehörte ich hierher. Hat der Regen uns an diesen Ort gebannt?

Und dann entdecken wir El Greco. Und hĂ€ngen noch einen Tag dran. El Grecos Figuren: die mit den langen Fingern und den langen dĂŒnnen Körpern. Sie schauen uns aus nahezu allen Kirchen entgegen. „Toledo is grechoing“, dichte ich. Oder stammt die Zeile von Herrn B.? Auf jeden Fall steht sie so in meinem Reisetagebuch.

Und dann ist da dieses kleine Museum, das Greco-Haus. ZunĂ€chst einmal bietet es Schutz vor dem Regen. Außerdem ist nicht viel los. Uns ist es recht. So können wir uns in Ruhe umschauen. „Guck mal, diese Finger, dieses Gesicht!“, so fliegen die Ausrufe zwischen Herrn B. und mir hin und her. Wir geraten in eine Diskussion darĂŒber, ob es sich hier um die Originale handelt. Kann ich jemanden fragen? Da sitzt ein Ă€lterer Mann auf dem Stuhl in der Ecke. Reglos, unauffĂ€llig. Vielleicht der MuseumswĂ€rter.

Meine Frage scheint ihn zum Leben zu erwecken. Erfreut ĂŒber unser Interesse und darĂŒber, dass ich ein paar Brocken Spanisch verstehe, erhebt er sich und schreitet tatsĂ€chlich von Bild zu Bild und erzĂ€hlt. Er deutet auf die Figuren und stellt sie uns vor.

Ich muss mich konzentrieren, weil ich fĂŒr Herrn B. alles, so gut es geht, ĂŒbersetze. Doch er unterbricht mich stĂ€ndig mit „Guck mal, diese langen Finger!“ Ja, ich sehe sie.

Der ErzÀhler gerÀt mehr und mehr ins SchwÀrmen, spricht mit leuchtenden Augen von den Menschen auf den GemÀlden.

Wieder stĂ¶ĂŸt Herr B. mich an, zischelt mir zu: „Die Finger!“ Wieder wehre ich unwillig ab, ich will zuhören.

Unser ErzÀhler ist inzwischen bei den verschiedenen Greco-Epochen angelangt.

„Guck ihn dir doch an!“ Herr B. lĂ€sst nicht locker. Da verstehe ich: Er meint den MuseumswĂ€rter! Und ich traue meinen Augen nicht:

Dieser leidenschaftliche alte Mann IST eine von Grecos Figuren, als wĂ€re er soeben einem der GemĂ€lde entsprungen! Lang und dĂŒnn, mit langen, sehr langen Fingern. Nur Haartracht und Kleidung unterscheiden sich.

Ich bin irritiert. Ein Zeitsprung? UnglĂ€ubig sehe ich Herrn B. an, er grinst. Beide strahlen wir den alten Mann an. Ob er weiß, warum?

Er strahlt zurĂŒck und nickt.

© Brigitte Hieber 2020-05-06

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