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#schuleistcool#life23#vogelfrauen

Die gelehrige Spötterin

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Die gelehrige Spötterin | story.one

**** Am besten spotten lässt es sich im Dutzend. Schwadronierend ziehen die Spötterinnen um die Dächer und über die Baumwipfel. Die Köpfe der Menschen schnellen nach oben, und manch einer fühlt sich ertappt. Wobei, ist ihm schleierhaft. Die Kunst des Spottens ist nicht einfach zu erlernen. Davon kann die junge Spötterin, das Greenhorn des Ensembles, ein Lied singen. Einer Menge Übungsstunden bedarf es, um so vielerlei Töne nachahmen und zu einem Klang vereinen zu können. Manch einer, der den Kopf hebt, stimmt in die Spöttereien mit ein, weil sie ihn an etwas erinnern: an die Schimpftiraden der Fußgänger, die gegen die Radfahrer wettern; an die Klagegesänge der Sprachschüler, denen die deutsche Sprache zu schwer vorkommt; an die Chöre der Nein- und Ja-Vielleicht-Sager, der Langweiler, der Angeber, der Besserwisser, der Angstmacher …

Die Vielstimmigkeit ist aufgehoben in einem Zusammenklang, der wirbelnd emporsteigt und sich hernach auflöst wie in trudelnde Stäubchen.

„Ja, scho geht dasch“, lässt sich die kecke Stimme der Spötterin vernehmen. „Scho schön einfach, wenn du dasch übscht.“

Und der Rest des Ensembles spöttelt unisono: „Schprachfehler schind kein Hindernisch.“ *****

Manchmal bekommt man Sätze und Begegnungen mit Vogelfrauen geschenkt. Auf geheimnisvollen Pfaden finden sie ihren Weg zu Dir, um Dir etwas über Dich zu verraten. Ich bekam den Satz: „Die erste Spottdrossel des Frühlings. Spottdrossel? Und lernte ihre Wahrheit kennen: In der Natur gilt sie als Kompositionsgenie!

Zwar konnte ich versprengte Laute auf intuitive Weise ebenso zu einem neuen Ganzen verweben, aber nicht immer erfolgreich:

Ich betrat die Klasse, in der sich ein junger Mann aus der französischen Schweiz befand und mich immer mit einem Strahlen begrüßte. An diesem Morgen wollte er mir eine Geschichte erzählen. Die anderen schmunzelten schon. Mit Händen und Füßen, sprechender Mimik und viel „Pfffft“ versuchte er, mir das Erlebnis zu schildern, das wohl sehr dramatisch gewesen war. So gut ich konnte, versuchte ich sein Bemühen nach Ausdruck zu unterstützen und ihm mit noch fehlendem Wortschatz beizustehen. Aber ich verstand nur "Baustelle und "Wasser". In meinem Kopf, in dem zugegebenermaßen noch Schlafmangel nistete, verbanden sich Bilder von aufgerissenen Straßen, Maschinen, Rohren und Wasserfontänen zu einem Spektakel biblischen Ausmaßes und so einer Situationskomik, dass ich schließlich einem unbändigen Lachanfall erlag, der alle mitriss. Sogar der ruhige Chinese verstand, dass ich nicht nur nach Luft rang, sondern vor allem um Verständnis: WAS war los?

Nach der Stunde gab mir der Chinese die Hand, befragte sein Wörterbuch und strahlte ebenfalls: „Ich wünsche Ihnen ein … AUSGEZEICHNETES … Leben! Wer so lachen kann, kann auch so weinen!“

Sätze können sich einem also auch über aufgerissene Straßen nähern!

Und Spottdrosseln können dir überall begegnen, auch mitten im altehrwürdigen Heidelberg. Seitdem übe ich.

© Brigitte Hieber 2022-12-17

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