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#refugium#immerderselbeweg#naturundkunst

Einfach so

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Einfach so | story.one

März – April 2020

Die Fichtenstämmchen mit den waagrecht abstehenden, moos- und flechtenüberzogenen Ästen sehen aus wie eine Versammlung grüner Wesen. Ich hebe zwei Stecken vom Boden auf und lege sie als Torbögen quer zwischen drei nebeneinanderstehende Fichten. Das ist „Der Eingang zu den grünen Wesen“. In der Nähe schichtet mein Mann Stein auf Stein zu einer „Natursteinsäule“. Wir machen Land-Art.

Das ist unser Corona Projekt. Es war nicht so geplant gewesen. Anfänglich. Es begann im März: Lockdown. Corona. Fordert. Abstand. Wir weichen aus in den Wald.

Eines Abends gehen wir ein Stück weit einen Forstweg entlang, der im weiteren Verlauf hinunter ins Tal der Lein führt, wie unzählige andere. Er liegt einsam da. Wir lauschen. Eine ungewöhnliche Ruhe. Kein Motorenlärm, nur Vogelgezwitscher, ein Specht. Verwundert stelle ich fest: „Diese Welt gibt es noch.“

„Komm, lass uns ab jetzt nur noch diesen Weg gehen.“

Ja, immer denselben Weg. Das schafft Verlässlichkeit. Innere Ruhe. Erdet uns in einer Zeit, die uns mit Zahlen, Bildern und Nachrichten überrollt und verunsichert. Hier auf dem Weg herrscht Meinungsfreiheit im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sind frei von Meinungen, es spricht die Natur.

„Komm, lass uns jedes Mal Land-Art machen, Land-Art im Kleinen.“ Das war Anfang April.

Ja, wir feiern die Erde. Was liegt da auf dem Boden? Was spricht mich an? Ein Stück Holz, ein Blatt, ein geäderter Stein. Was kombiniere ich? Wenige Minuten dauert das. Spontan, intuitiv, mit Freude und Zufall, ohne Anspruch. Eine Gestalt ist entstanden. Klein, fragil, groß, stabil, schwerelos, kühn, auffällig, diskret, direkt am Weg oder abseits. Einfach so. Aus dem Moment heraus. Gemacht für den Moment.

Es ist jetzt Ende April. Auf einer Länge von gut einem Kilometer beleben über 30 Werke unseren Weg: Herr Dreibein, Bachweiser, Hoffnungsschirmchen, Luftiges Bett, ‘s Spechtle ... Bei jedem Spaziergang freuen wir uns auf liebe alte Bekannte. Wir sind neugierig: Wer, was ist noch da? Einige hat wohl der Wind umgeworfen oder ein Hase hat sie gestreift. Manche bauen wir wieder auf, andere lassen wir liegen, unvollkommen, einfach so. Ein persönliches Unterfangen, unbemerkt, dabei so offen.

Interessanterweise bevölkert sich der Weg mittlerweile auch mit Menschen. Lange niemand, dann ein Einzelner, dann ein Grüppchen. Vater mit Sohn. Familie mit Äffchen. Jemand winkt aus einem Jeep. Der Radfahrer, ist es derselbe? Ein Hund, der meinen Stecken beschnüffeln will. „Das ist nicht deiner“, lacht sein Frauchen; der Satz wird mein nächster Titel. Wir grüßen alle freundlich. Der Weg ist mindestens drei Meter breit.

„Komm, lass uns das weitermachen, bis Corona vorbei ist.“ Bald ist Mai. Dann Sommer …

Ja. Was wird das mit dem Weg machen, mit uns, mit unseren Begegnungen, mit Raum und Zeit?

© Brigitte Hieber 2020-04-27

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