Fahrrad-Kuh
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26. Juli 2020. Kappe auf, hinaus in Sonne und Wind. Wir satteln unsere Räder für die Dorfrandrunde. Das heißt, ich bin diejenige, die den Sattel polstert. Kamera in den Fahrradkorb und lieber noch zwei Schirme dazu.
Gemächlich radeln wir dorfauswärts in die Felder. Ein herrlicher Blick über die Hochebene in die Weite.
Normalerweise biegen wir nach rechts ab, den Waldsaum entlang, wo wir unter einer stattlichen Eiche Halt machen. Ein paradiesischer Platz und mein Fotostandort: Zu jeder Nachmittags- und Abendzeit fotografiere ich hier Feld mit Himmel und hoffe auf dramatische Wolkentürme. Aber meist kullern die Wolken nur so klein und fein über den Horizont. Dafür habe ich vom Kornfeld Fotos in allen Wachstums- und Ernte-Stadien, mit wandernden Lichtflecken und Schatten der Eiche.
Doch diesmal radeln wir geradeaus, weil uns auf der Wiese die braunen Tupfen auffallen. Nichts Besonderes, fürwahr. Wir sind auf dem Land. Kühe sind ein alltäglicher Anblick. Nur, hier waren halt noch nie welche.
Die Wiese offenbart sich als Weide und ist Gott sei Dank eingezäunt. Ich habe Respekt vor Kühen, seitdem mir als Kind eine hinterhergerannt ist. Obwohl hier aufgewachsen, hatte ich mit der Landwirtschaft nichts zu tun, nur ab und zu Milch holen beim Bauern. Nicht einmal zum Mitfahren auf dem Traktor hat es gereicht, das wäre ein Traum gewesen.
Wir stehen am Zaun. Ich fotografiere die braunen Flecken, freue mich, wenn einer der Flecken den Kopf hebt und zu uns herübermuht. Ein bisschen näher wäre entzückend. Dazu muss ich sagen, dass ich sonst kaum Kühe fotografiere. Nur einmal, auf einer Radtour in Norddeutschland. Die waren aber schwarz-weiß und wurden regelrecht mit Plakaten beworben: „Niedersachsens Top-Mädels“.
Und wahrhaftig, die Kühe trotten heran. Aus Neugier? In Erwartung von Futter? Klingen unsere Stimmen vertraut? Jetzt traben sie fast – in einer Linie.
„Wie die sieben Samurai“, sage ich. Du meinst, es sind sechs.
Ganz nah sind sie, eine Herde Milchkühe. Sie haben wundervolle Wimpern. Und sie kämpfen gegen die lästigen Fliegen. Forsch strecken sie die Köpfe über den Zaun, beschnuppern unsere Räder, als wären sie ihresgleichen.
„Das sind Räder, keine Kühe“, sage ich.
Du und ich, wir schauen uns an, klingeln im selben Augenblick los. Zaghaft. Kommt ihnen der Klang bekannt vor? Zumindest scheint er ihnen zu gefallen. Sie strecken die Köpfe noch weiter herüber zu den Rädern.
„Warum eigentlich nicht? Das ist kein Fahrrad, sondern eine Fahrrad-Kuh.“
Das hätten wir geklärt. Man verzeihe mir meine laienhafte Sichtweise. Unbestritten war es ein friedlicher Plausch.
Weiterfahrt mit Fotostopp an der Eiche: Wolken über abgeerntetem Feld.
Rückfahrt im Gegenwind. Ohne Regen.
© Brigitte Hieber 2020-07-26
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