Grün
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Ende März – Anfang April 2021
Heute stehen die Fichten Spalier und verströmen Glückwünsche. Die Stämmchen sind geschmückt, umwickelt mit Gräsern, Blättern, Moosen. Astwedel klatschen uns zu. Der Waldboden ein federnder roter Teppich. Der Specht klopft wieder, ein anderer lacht. Ein braunes Eichhörnchen kreuzt unseren Weg. Ein Riesengrauhase prescht durchs Gehölz, dreht uns im Davonhoppeln sein weißes Hinterteil zu.
Wir feiern doppeltes Jubiläum. Vor einem Jahr hatten wir unser Waldweg-Projekt gestartet – geplant. Und hatten geheiratet – spontan.
„Übermorgen, wenn Sie wollen“, hatte es auf dem Rathaus geheißen. Wir wollten und taten es. Im ersten Lockdown, ohne Gäste, ohne Trauzeugen, ohne Ringe, ohne Frisur.
„Hä?“, war keine unübliche Reaktion auf den Erhalt unseres selbstgeschossenen Hochzeitsfotos: ein Blick auf vier Füße in blankgeputzten schwarzen und grünen Schuhen. Falls je überhaupt, hatte ich immer in einem frühlingsgrünen Kleid heiraten wollen. In der Farbe besaß ich lediglich Sportschuhe. Wer konnte das wissen.
Als ich dereinst, vor langer Zeit, Herrn K. und Kater kennenlernte, bewies Kater einen siebten Sinn, indem er mich schlichtweg adoptierte. Er hielt „meinen“ Küchenstuhl besetzt bis zum nächsten Besuch.
Ein ganzes Jahr auf unserem Weg.
Viele unserer Werke waren nicht von Bestand, aber dem wollen wir nicht hinterherhadern. Es sind Gestaltungen, die wir dem Wald angedeihen lassen und der Verwandlung anheimgeben. Mal verformen sie sich je nach Witterung, verbiegen und entbiegen sich. Und mal grinsen sie uns triumphierend an. Sind die eigentlich alle von uns? Oder vom Wald.
Dem Frühling ist das einerlei. Mit aller Kraft drängt er nun nach draußen, presst Zweigchen aus dem Boden, befiedert ihre Spitzen mit ersten Blättchen. Unaufhaltsam. Daran werden keinerlei Kapriolen, nicht einmal pfiffige Böen oder gewiefte Kältewellen, etwas ändern.
Ich bin jedoch kein Frühlingsmensch, werde von den überraschend emporschnellenden Temperaturen überfallen, von der Sonne, die sich langmacht, sich aufdrängt und das Weichgezeichnete überstrahlt. Verrückterweise liebe ich aber genau dieses Grün der aufplatzenden Buchenknospen und sich entrollenden Farnblätter.
Auf dem Heimweg werden wir heute eingegraupelt. Weiße Kügelchen auf Grün. Auch auf meinem Notizbuch hinterlassen sie Spuren. Im Westen bricht Licht durch die Wolken. Der Himmel weiß sich nicht recht zu entscheiden. Die Raben halten Rat.
Wir hatten uns entschieden. Auf dem Weg zum Rathaus wäre Kater neben uns her getrabt, hätte die zehn Minuten vor der Tür deutlich gewartet, wäre danach munter maunzend wieder mit nach Hause gegangen. Die Welt war in Ordnung, solange er vier Füße zählen konnte.
Er wäre das schwarz-weiße Knäuel gewesen zwischen schwarzen und frühlingsgrünen Schuhen. An jenem verrückten Gründonnerstag.
© Brigitte Hieber 2021-03-19
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