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Ikarus

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Ikarus | story.one

30. Juli 2020. Die Sonne brennt. Sengt die letzten Reste von WeiĂź vom Himmel. Die Hitze ist bei uns angekommen.

Trotzdem will ich meiner Radel-Leidenschaft frönen und breche auf zur Dorfrandrunde. Mit Hoffnung auf einen Hauch von Fahrtwind. Mit Kappe und langen Ärmeln als Sonnenschutz. Der Schatten unter der Eiche winkt.

Der Weg zwischen den Feldern verläuft etwas abschüssig. Auf dem Feld rechts neben mir arbeitet sich eine landwirtschaftliche Maschine von oben nach unten und von unten nach oben und wendet Heu. Zwei Greifvögel begleiten sie. Bussarde? Milane? Halten Ausschau nach aufgeschreckten Tieren, nach Beute. Maschine und Vögel in Endlosschleife.

Ich halte inne, warte, bis die Maschine oben ankommt. Mit ihr die Vögel. Vielleicht gelingt mir ein Foto von ihnen. Kamera heraus, auf den Auslöser gedrückt, mehrmals, nur so ins Blaue.

Schließlich radle ich nach unten, steige ab. Kamera bereit. Doch die Maschine hat bereits gewendet, die Vögel sind auf und davon, erkunden die Weite. Na gut, es soll nicht sein.

Da!

Vor mir – neben dem Vorderrad – auf dem Weg – ein plötzlicher Schatten – Schatten weg – Schatten da – ein Spiel beginnt – er muss direkt über mir sein – Kopf in Nacken – die Sonne blendet – alle Vorsicht dahin – ich erhasche einen Blick auf ihn – den goldenen Vogel – im gleißenden Licht –

– und drücke ab.

Ein Ikarus, schieĂźt es mir durch den Kopf. Ikarus? Nur von meiner Perspektive aus ist der Vogel der Sonne nahe. Von seiner Perspektive aus zieht er seine Kreise. Ein Herrscher in seinem Lebensraum.

Bin im Moment nicht ich Ikarus? Eine, die sich ergötzt an diesem majestätischen Tier. Besessen davon, es auf ein Bild zu bannen.

Warum stehe ich seit jeher auf Ikarus’ Seite? Auf der Seite dessen, der stürzt. Warum nicht auf Dädalus’ Seite? Der sie beide rettet aus der Gefangenschaft. Dädalus, der Erfinder, der Mutige. Auch der Sorgenvolle, der Mahner: „Flieg nicht zu hoch, nicht zu tief!“

Es liegt an dem „zu“. Wie oft habe ich gehört: „Du bist zu …!“ Ich bewundere Ikarus dafür, dass er das ZU lebt. Dädalus mag der Besonnene sein, Ikarus ist der Lebendige.

Oh, was passiert hier?

Er stürzt – fängt sich knapp über dem Boden – landet vor mir auf dem Feld.

Gerade hatte ich aufsteigen wollen. Kamera her! Ich erwische ihn just, als er die Schwingen ausbreitet und sich erhebt. Es ist sein Spiel. Seine Freiheit.

Ich radle weiter zum kühlenden Schatten der Eiche. Versunken in Staunen. Das Sonnen-Foto wäre ein Glückstreffer. Konnte ich den Vogel einfangen? Etwas einfangen? Auf Ikarus-Art.

Mit „Lust nach dem Himmel“, wie es Meister Ovid besingt.

© Brigitte Hieber 2020-08-01

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