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#refugium#simultan#immerderselbeweg

katedraale

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katedraale | story.one

Ende April 2021

…draale…takepak…kek kek… Unkoordinierte Laute schwirren mir durch den Kopf. Es ist also wieder passiert. Plötzlich steigen sie auf, irgendwelche Zeilen aus meinem früheren Sprechchor. Diesmal dreistimmig. Dem Simultangedicht „kaa gee dee“ von Kurt Schwitters enthüpft. Dada lässt grüßen.

Mit Schreibzeug und Matten ausgerüstet begeben wir uns heute in den Wald. Auf der Suche nach Muße. Allein schon der Anblick der blühenden Weiden am Weg ist eine Wohltat. Unweit findet sich ein Plätzchen. Wir sitzen. Das erste Mal. Ich lege Stift und Papier beiseite und höre dem Wald zu. Höre die Musik aneinanderstreichender Blätter und Zweige, überlagert vom Kek-Kek der Vögel. Simultan. Schwitters muss das Gedicht im Wald geschrieben haben.

Die Turbulenzen im Außen und Innen erforderten eine Auszeit. Die erste Impfung war glimpflich überstanden. Das vergangene Jahr hatte seinen Tribut gefordert. Erdrutsche und Verwerfungen, Abbrüche und Umbrüche, in jeder Hinsicht. Und gleichzeitig Stillstand. Aus dem die Sehnsucht nach Glauben keimte.

Auch die Kunst des Dada, geboren vor über 100 Jahren, war eine Antwort auf eine Zeit der Krisen. Altes zertrümmern, Neues erschaffen, zurückgreifen auf Laute, archaisch und anarchisch. Und aus dem sinnlos anmutenden Lautenurgrund erhebt sich ein Klangkörper, …katedraale...

Ich schaue mich um. Der Grundriss unseres Platzes ähnelt dem eines Kirchenschiffs. Auf halber Höhe angeknickte Stämme bilden sowohl seitliche Pfeiler als auch das Gerippe eines Daches. Über uns spannt sich ein Gewölbe aus dichten Ästen. Sonnenstäubchen errichten flimmernde Fenster. Der Waldboden beherbergt Myriaden von staunenden Besuchern, die Buschwindröschen. Wir atmen heiligen Raum.

Dankbar machen wir uns ans Werk, umschlingen Zweige mit filigranen Ranken, lassen sie „Grüne Gebete“ sprechen. Und die blühenden Weidenkätzchen flackern wie Kerzen. Kandelaber säumen unseren Weg hinaus.

„Vorsicht!“ Der kleine gescheckte Hund rennt wieder mitten auf der Straße, diesmal vor uns her. Bleibt ohne Vorwarnung sitzen. Wir halten, sitzen ebenfalls, im Auto. Er mustert uns. Wir mustern ihn. Ein keck gezwirbeltes Tuch ziert seinen Hals. Ich muss lächeln, winke.

Im selben Augenblick ereignen sich drei Dinge auf einmal: Zwei Wandererpaare bleiben lachend stehen, eins auf der rechten Straßenseite, eins auf der linken, uns gegenüber stoppt ein Auto. Hundchen ist somit der Mittelpunkt des Geschehens. Hundchen überlegt. Hundchen trottet fort. Wir fahren langsam an, hinter uns ein drittes Auto, die Wanderer setzen sich in Bewegung.

Es ist eindeutig Frühling. Denn er läuft wieder. Zwischen großem und kleinem Hof, seinem Revier.

Am Kirchturm verteidigen die Turmfalken ihren Nistplatz unterhalb der Uhr, die Krähen zetern Protest, zwei Schwalben zickzacken über die Häuser, erobern sich ihren Luftraum zurück. Ich tue es ihnen gleich, schicke Laute empor: Up! Up! Open Up!

© Brigitte Hieber 2021-04-25

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