Maismädchen und Co.
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Ende September 2021
„Wo wart ihr so lange?“
Die Frage schneidet über die Stoppelfelder. Strohgelbe Meere mit Sonnenblumeninseln des Dankes. Darüber kreist ein Milan, zieht hinweg in Richtung Maisfeld. Dort erwartet uns ein grüner Wall. Dahinter hocken sie, die Maismädchen mit ihren zauselig rotblonden Haaren, wild und verwegen, wetzen die Klingen ihrer grünen Blattschwerter, recken ihre rostigen Rispen-Lanzen in die Höhe. Und noch einmal:
„Wo wart ihr?“
„Am See. Weg von den Mücken hier.“
Doch diese Kriegerinnen der Wahrheit kennen mich, wissen, dass ich mich nur vor der letzten Wege-Geschichte drücke. Ist es ein Ende?
Der Anfang, März 2020: Was würde der Weg mit uns machen? Er entsperrte Körper, Seele, Geist und Phantasie … Und wir gaben ihm zurück, was er uns gab, schufen Verbindungen, steckten Birke auf Kirsche, drapierten Steine auf Ästen, banden Gräser in Zweige, nannten sie tanzende Derwische … Und der Wald füllte unseren Steinkreis mit Zapfen … Ein lebendiges Abenteuer. Gelebte Vision.
„Unspektakulär spektakulär“, sagt Bernd. Er hat den Weg zu unserem Schlupfwinkel gefunden, im südöstlichen Zipfel des Schwäbischen Waldes. Jetzt bin ich sogar ein wenig sprachlos, wenn ich mir vergegenwärtige: Meine Notizen wurden zu Geschichten, die Geschichten fanden Leser, und einer, Leser und Autorenfreund, ist heute hier als ein begeisterter und achtsamer Besucher. Er schaue beim Spazierengehen ebenfalls gern in Hinterhöfe, erzählt Bernd. Das gefällt mir. Es beginnt die Führung durch den Hinterhof des Waldes:
Eintritt der Drei durchs Schattentor. Unauffällig flankiert von den Zweigeskulpturen „Gewunden“ und „Fragiles Miteinander“. Welche Figuren sind noch da? Der Igel natürlich und der Druide des Steinkreises. Ich sehe auch die, die nicht mehr da sind, die Mäusediva, den Emu. Heute entstehen die Objekte „Pergamentblatt“ und „Astarmreif aus Zwiebelschalen“.
409 Werke an 204 Tagen.
Wir erreichen den Punkt, an dem alles begann. Der Eingang zu den grünen Wesen existiert noch. Der Wald wispert. Brennesselhänge verströmen würzigen Duft. Eine Stinkmorchel schwingt ihr Tüllkleid. Eine fette rote Schnecke zieht ihre Spur. Wenn ich Schnecke wäre, würde ich allemal in den Wald ziehen. Denn der Wald hetzt nie. Irgendwo höre ich den Magier des Herbstlandes mit der Wolkenschieberin tuscheln. Und der Specht klopft sowieso, irgendwo. In der Tiefe murmelt der Bach.
Bernd stellt den „Träumer“ auf. Werk 410.
Mondhell beleuchten silbrige Baumflechtengewänder unseren Rückweg. Zum Schluss geht es hinaus in die Sonne, vor uns Wiese und Maisfeld, darüber der Himmel.
Der Rote Milan begleitet uns ein Stück. Wie der Ruf der Maismädchen wird auch er nächstes Jahr zurückkehren. Oder harrt er aus, trägt uns über den Winter? Dieser Drache unter den Greifvögeln. Wagt den großen Wurf.
© Brigitte Hieber 2021-10-04
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