Mordstheater
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Juli – August 2020
„Sind die von der Polizei?“ – „Mit dem Fahrrad?“
Da sind zwei an dem Schild zugange, genauer gesagt, an dem schiefen Pfosten mit dem fehlenden Schild, das „Durchfahrt verboten“ anzeigen sollte. Es fehlt seit … auf jeden Fall schon lange. Nur die Hinweistafel „Forst- und landwirtschaftlicher Verkehr frei“ hängt noch. Langsam, quasi undercover, fahren wir mit dem Auto an ihnen vorbei, noch zehn Meter bis zu unserem auserwählten Parkplatz, näher am Waldrand.
Sie nehmen keine Notiz von uns. Wir atmen auf und gehen unseres Weges. Doch diesmal bleibt der beruhigende Effekt aus. Das Eintauchen gleicht eher einem Abtauchen in ein dämpfiges Tal. Wie bereits öfter in diesem Sommer. Für mich ein Tief im Hochsommer.
„Schau dir das an“, sagst du. Macken in den Fichten, abgescheuerte Rinde. Wohl unvermeidlich beim Abtransport der am Wege gelagerten Stämme.
„Abtransport? Ein abermaliger Anschlag auf unsere Werke?“, witzle ich.
Unser Waldweg – ein Tatort?
Unlängst hatte es wiederum eine groß angelegte Aktion gegeben, sozusagen eine unwissentlich erfolgte Kunstschätzevernichtungsaktion. Die Wegränder waren von Maschinen gemäht worden. Abrasiert. Mit ihnen viele unserer kleinen, inzwischen grasüberwachsenen Werke, unvermeidlich. Freilich hatte es auch einen Feder-Raub gegeben, von Menschenhand herausgerissen aus unserem mit Gebinden versehenen Schilfwald. Und rasende Radler hatten unser Wegerecht missachtet.
Aufgrund dieser Vorkommnisse hatten wir beschlossen, ausnahmslos abseits und geschickt getarnt zu arbeiten. Im Unterzwischenholz.
Aber wir hatten die Rechnung ohne die mörderische Hitze und ihre hinterhältigen, mit Stechrüsseln bewaffneten Komplizinnen gemacht. Wenn du sie surren hörst, ist es zu spät. Sie stechen dich zwar nicht ab, aber sie stechen zu, saugen dein Blut. Nicht einmal durch Regentropfen, mit denen du sie in Notwehr bewirfst, ist ihnen beizukommen, weil sie dank ihrer geringen Masse Zusammenstöße mit solchen überleben. Das ist erwiesen.
Sogar die Himmel hatten geblutet, hauptsächlich bei untergehender Sonne. Und wir waren Zeugen geworden von Pfeile schießenden Wolken.
Und der Wald, unser Verbündeter? Er hatte vor Entsetzen geschwiegen. Seit Ende Juli kaum mehr Vogelgezwitscher.
Heute verzeichnen wir jedoch keine weitere Werk-Beschädigung. Vor allem Werke, die in den Zweigen positioniert sind, leisten Widerstand.
Oben am Weg steht der Pfosten nun aufrecht. Die beiden Freizeitsportler haben ihn wiederaufgerichtet, den sturmgebeutelten. Allerdings so gedreht, dass die Hinweistafel von vorn nicht mehr zu lesen ist. Schräge Vögel. Ob wir in Zukunft in stiller Übereinkunft …?
© Brigitte Hieber 2020-09-12
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