Ort der langsamen Worte
- 391

Ort
der
langsamen
Worte â
Die Zeile erreicht mein Denken wie eine Sehnsuchtswoge. Verharrt. Die Buchstaben verwabern.
Wenn schwer die Welt sich dreht, braucht es Behutsamkeit, Besonnenheit. Ich habe das BedĂŒrfnis nach langsamen Gedanken, langsamen Worten.
Ich sitze. Auf der Bank. GegenĂŒber dem Bauernhaus. Auf Kissen. FĂŒĂe auf dem Stuhl. Auf meiner Höhe steht die WĂ€rme still.
Die Kastanie beschirmt mich. Links wacht der Nussbaum. Rechts ragt die Birke wie eine Skulptur in die Landschaft. An ihren Ăsten und Zweigen sĂ€useln BlĂ€ttchengewĂ€nder.
Es schwirrt und surrt um mich herum. Zu schnell fĂŒr mein Auge. Der Ton verweilt.
GrauweiĂe Wolkengebilde zerfasern am Himmel. Ein Tropfen löst sich. Zerrinnt auf meiner Haut.
"Kommt da noch was?" Die freundliche alte Dame blickt herĂŒber. Sie steht gebeugt, gestĂŒtzt auf ihre Stöcke. In ihrem Gefolge die wilden Katzen.
"Gestern Abend dachte ich, nein. Meine Nase hatte noch nicht gebissen. Aber dann kam doch was", sage ich.
Ein fast stummes Quietschen der tapsigen, kleinen, dreifarbigen Katze begleitet unser GesprĂ€ch. "Schlumperle" nennt die alte Dame sie. Die andere schwarzweiĂ-getigerte Katze legt sich in sicherer Entfernung auf den Boden. Sie hat keinen Namen. Ich nenne sie "Strichle", weil ein schwarzer Fellstreifen ihr Gesicht zeichnet. Direkt ĂŒber der Nase. Von oben nach unten.
Die alte Dame stakst weiter zum Nachbarhaus. Die Katzen im Gefolge.
Wieder ein Tropfen auf der Haut. Und noch einer. Der Weg ist gepflastert mit BlĂŒten des Goldregens.
Jetzt macht der Wind LÀrm. Die Kastanie blÀst ihre Kerzen aus. Der Nussbaum wankt. Die Birke hebt ab.
Es grollt.
Die Elemente sind in Aufruhr. In mir kehrt Ruhe ein. Hier. Sein. Erde. GrĂŒn. GrĂŒn ist ein langsames GefĂŒhl.
Der Sturm waltet seines Amtes.
Frieden in mir. Frieden ist ein langsames Wort.
Tags darauf hĂ€ngen frisch gewaschene zerzupfte Wölkchen am Himmel. Auf waagrecht ausgespannten weiĂen Linien.
Gedrungen die Erde. Das Dorf senkt sich ins Land. Senkrecht stehen Wasserturm, Maibaum und Baukran.
Rechts und links davon ein grĂŒnes Leuchten. Ein Stillleben purzelnder BĂ€ume und rollender HĂŒgel. Nur die GrĂ€ser wiegen sich wirklich. Liebkosen die Luft. Ein Milan gleitet.
Ich bin umrahmt von EichenblÀttern, dort, wo ich sitze, auf der Bank, am Waldrand. Inmitten krakeliger Schriftzeichen.
Abends sitze ich wieder beim Bauernhaus. Diesmal auf der Bank, die quer zum Haus steht. Mein RĂŒcken lehnt am MĂ€uerchen des Schuppens. In der NĂ€he quietscht das KĂ€tzchen. Die Natur flĂŒstert Licht und Schatten.
Langsam beginnt das Pendel des Sommers zu schwingen. Sacht.
© Brigitte Hieber 2022-05-25
Kommentare
Jede*r Autor*in freut sich ĂŒber Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.