Spazierdenken
- 335

Ende Mai 2020
„Ich hätte nicht gedacht, dass wir dranbleiben“, sage ich.
„Es ist schön hier“, sagt mein Mann.
Ich bin gedanklich noch beim Dranbleiben. DURCHHALTEN. Eine Geschichte mit diesem Titel ist beinahe fertig. In mir beginnt es zu schreiben: ‚Nach wie vor warte ich auf die …‘
„… Fällarbeiten“, sagt er. „Da lagern Stämme.“
Das bedeutet, auch etliche unserer Werke sind zerschleift, zertrampelt, zerstört. Verwüstung. Verwütung. Na gut, es ist schließlich ein Forstweg. Die Werkchen sind inkognito hier und ohnehin nicht für die Ewigkeit gemacht. Also, Gras drüber, weiterbauen.
Weiterradeln, immer weiter, denke ich. Ja, die neue Geschichte werde ich HYMNE AN DEN FLUSS nennen. Die Flüsse alphabetisch ordnen, Iller, Inn …
„Wo bist du gerade?“, fragt er.
„… Isar … muss noch reifen.“
„Die Distel ist immer noch nicht so groß wie du“, sagt er.
Zum üblichen Größenvergleich stelle ich mich neben das lila Wunder.
„Noch ein paar Zentimeter und ein paar Tage“, sage ich.
Wir sammeln Fundstücke. Hier an dieser Stelle, auf diesem pflanzenartenreichen Areal. Die Exponate häufen sich hier. Ein regelrechter „Installationsspot“, so habe ich ihn getauft.
Eine Krähe schimpft.
„Warum schimpft die?“, frage ich.
„Deshalb“, sagt er und deutet nach oben zu einem Bussard.
Oben wohnt die WOLKENSCHIEBERIN. Sie möchte, dass ihre Kunst endlich anerkannt wird. Geschichten über sie gibt es so manche …
„Na dann“, sagt er. „Legen wir los.“
Ein Segen, dass der Wald Schatten bietet.
‚Sanftheit übernimmt die Führung.‘ Die REGENFRAU mischt sich ein, will berichten. ‚Die Sonne greift an. Scharfkantige …‘
„Guck mal, die gelben Blumen“, sagt er.
Scheinbar unscheinbare Blümchen bestrahlen den Waldboden. Wie Gesichter. Wie kleine Sonnen, aber angenehme.
„Heute haben wir lange gebraucht. Hast Du eine Geschichte fertig?“
„Ich weiß nicht, welche das Rennen macht.“
Wir kehren um. Schritt für Schritt geht es bergauf. Wir treten aus dem Wald, hinein in die Sonne. Ich ziehe meine Kappe ins Gesicht und …
Die Beifahrertür öffnet sich.
Ein Milan kreist über dem tief gefurchten Kartoffelacker.
© Brigitte Hieber 2020-06-12
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