Verheißung
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Ende Mai 2021
Seit Tagen tobt der Wind, lässt Wald und Gras erzittern. Sogar die Eisheiligen ducken sich.
Und doch – etwas ist merkwürdig. Ich kann den Wind riechen, selten offenbart er sich so rein. Der Geruch hat einen Namen: „Verheißungsvoll“.
Seltsame Dinge auch auf unserem Weg. Zwischen Himmel und Erde. Zwischen Traum und Wirklichkeit. Wo ist eigentlich der Pfosten mit der Tafel?
Mir träumt von einem Werk: „Dürres Blatt auf trockener Wurzel oder Wenn die Gondeln Trauer tragen“. Aber die Dürre ist zweifellos vorbei. Ich ändere den Titel: „Wenn die Gondeln keine Trauer mehr tragen“. Oder sollte ich das regional formulieren? Schließlich scheitere ich an der Übersetzung von „die“ ins Schwäbische. Des ungeachtet verheißt der Traum: Es wird heller.
Kurz davor hatte sich auf unserem Weg ein freundliches Gespräch mit dem Mann vom Forstamt ergeben, zufällig. Wir bedauerten die neuerlichen Holzfällarbeiten, sie erinnerten an letztes Frühjahr, diesen Kahlschlag. Er klärte uns auf, die Fichten seien von Trockenheit und vom Borkenkäfer heimgesucht worden. Die Fichten, die im Herbst jäh braun geworden waren, von denen wir gedacht hatten, sie trauerten um ihre gefällten Baumgenossen? Ja, die. Und nein, der Mann hielt uns nicht für Spinner. Der Wald sei jetzt lichter, und die nächste Generation wachse schon nach. Land-Art machten wir? Aha.
Aus dem Holzabfall schnappst du dir vier Stecken und baust um eine Fichte herum das „Rundherumquadrat“, daneben platziere ich eine Holzscheibe mit hakennasigem Profil: „Mister Wood“.
Im Traum taucht alsbald „Ulf, die Ulme“ auf. Wäre „Uwe“ besser? Oder weiblich? Stille. Ein Blätterrascheln, ein Zweigeknacken, wie ein Hüsteln im Konzertsaal. Dann hebt das Konzert an mit dem Gesang von Ulf, der Ulme.
Real kommt es über den Wipfeln zum Streit der Giganten. Milan schwebt heran, Krähe krakeelt, schlägt ihn in die Flucht. Milan zieht Kreise, Falke und Bussard gesellen sich dazu. Und eine lärmende Maschine: Mann mit Rucksackmotor in Gleiter.
Wie oben so unten. Pferdegetrappel. Wenn die Kutsche über den Himmel fahren würde – so male ich mir aus –, müsste sie sich vor den Luftschlaglöchern in Acht nehmen. Denn noch immer tobt der Wind. Die Wiese bleibt auf der Erde, zirpt ohrenbetäubend.
Himmelswürze im Farbtopf Erde.
Buchengrüne Vorhänge bauschen die Waldränder. Weithin gelbüberschwemmte Felder. Der Raps kornblumenblaugetupft. Bald wird der Klatschmohn die Straßenränder befeuern. Und die Straßen werden sich beleben.
Dort am Straßenrand sitzt er heute. Beäugt uns. Der kleine gescheckte Hund. Unser Running Gag. Dem die Straße hier gehört, vor allem die Mitte. Sag mal, träume ich? Es gibt ihn in zwei Größen. Und welcher ist derjenige, welcher …? Oder verheißt das doppeltes Vergnügen? Für wen?
© Brigitte Hieber 2021-05-22
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