Vom Winter verweht
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Es ist Februar.
Der Winter hat die Blätter von den Bäumen geweht.
Die meisten liegen auf der Erde und verrotten.
Einige landen in Sträuchern, sind verschrumpelt, vergessen.
So auch dieses Blatt.
Es hängt mit seinem Stiel zwischen den Zweigen des Strauches fest. Als Ahornblatt kaum zu erkennen.
Vielleicht hat es keine Kraft mehr. Es faltet sich nicht mehr auf in all seine Winterpracht.
Dennoch – die Blattadern erscheinen stark. Nur das Blattkleid hat sich zerfaltet und zerfranst.
Das Blattkleid, gefaltet und gefranst?
Bestimmt tanzt das Blatt auf dem Winterball einen letzten Tanz.
Denn noch ist Winter.
Der Frühling steht schon in den Startlöchern.
Aber er soll sich gedulden.
Denn noch tanzen die Blätter ihren vergessenen Tanz des Schwindens.
Sie haben kein Anliegen, keine Mission, keine Botschaft.
Irgendwann wird das Blattgewebe zerbröseln und sich zum Humus am Boden gesellen.
Weil der Frühling sich nähren und stärken will.
Aber noch ist Winter. Noch hängt da dieses eine Blatt.
Ich habe es entdeckt und schön gefunden.
Schön, so wie es ist.
Schön, weil es nicht etwas Anderes sein will, als es ist.
Schön, weil es diesen Moment verewigt.
Denn noch ist Winter. Endzeit.
Manchmal genügt ein Blick.
© Brigitte Hieber 2022-02-08
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