Waldleuchten
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25. Dezember 2020 – 6. Januar 2021
Wir gehen das Leuchten suchen.
Seit Tagen wirkt die Welt trostlos und öde, wenig einladend. Hie und da ein verirrter Gast: eine einsam dahintreibende Schneeflocke, ein verwaist herumliegender Sonnenfleck. Allbeherrschend die graue Wolkendecke. Immerhin fallen Tropfen. Zögerlich zuerst …
Die Raunächte haben begonnen. Der Spalt zwischen den Jahren tut sich auf. Tag für Tag gehen wir unseren Weg durch den Wald.
Und finden das Leuchten.
Gleich oben am Weg entspringt der Bach. Die Quelle verbirgt sich normalerweise im Gestrüpp, jetzt ist sie sichtbar. Tief unten hüpft das Wasser über die Kiesel und schleudert silbrige Blitze herauf.
Rostrotgrünes Regenleuchten erwartet uns am Eingang des Waldes. Dort reckt eine riesige Buche ihre exzentrisch geformten Äste gen Himmel. Die Nässe färbt die Wetterseite ihres Stammes überirdisch grün und ihre überlebensgewillten Blätter intensiv rostrot. Die niedrigeren Bäume umringen die Buche in gebührender Entfernung. Gar in Ehrfurcht?
Das Regenleuchten setzt sich im Innern fort. Der Boden des Hanges ist mit Moosen bedeckt, im satten Grün hängen winzige Lampions in Rostorange. Denn auch hier behaupten sich letzte Blättchen an jungen Buchen. Und in kühleren Ecken sind die Ränder der Blättchen mit glitzernden Eisnadeln überzogen.
Ich klettere den Hang hinauf und hinunter, halte die Bilder fest. Die Buchenblätter im Winter sind meine Helden, unverzagt, einfallsreich und rebellisch.
Einen bronze-goldfarbenen Glanz verbreiten selbst die verwelkten Buchenblattbüschel auf längst abgeschlagenen Ästen.
Wir sind guten Mutes. Zwischen den Fichten nimmt unsere „Bogen-Lichtung“ mehr und mehr Gestalt an. Du konstruierst eine „Jurte wider die Unwirtlichkeit“. Ich biege uns ein „Tor in die Neue Zeit“.
Auf dem Rückweg nehmen wir die riesige Buche anders wahr. Sie ist ein Baum-Engel mit vielfach ausgebreiteten Flügeln. Hat nicht das Buchenholz aufgrund seiner charakteristischen „Spiegel“ diesen einzigartigen Schimmer? Ich bete, dass die Buchen dem Klimawandel die Stirn bieten können.
Mit den Raunächten beginnt die Rückkehr des Lichts, sie hat bereits begonnen. Und als wollte er uns das demonstrieren, fliegt in diesem Moment ein Falke vom Wald her über die Wiesen, macht flugs kehrt und fliegt über die Wiesen zurück in den Wald. Und die Welt beweist Humor, schickt zur Bekräftigung zwei Sportler hinterher: Eine Joggerin in Lachsrosa joggt aus dem Wald herauf, ein Radler in Hellblau radelt in den Wald hinunter.
Ja, die Raunächte, die Rautage – meine Zeit.
Und zum Schluss fällt doch noch Schnee und legt sich sacht aufs weite Land. Für Sekunden stürzt ein Stückchen Horizont ins Weiß des Anfangs und der Berührbarkeit.
© Brigitte Hieber 2021-01-08
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