Monaco
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„Monaco“, ruft er. „Ich will nach Monaco!“
„Nur, wenn du zahlst“, lache ich sarkastisch. Papa bucht den nächsten Urlaub. Eigentlich will ich das gar nicht. Ich habe nur mehr eine Woche frei, bevor mein Praktikum im Krankenhaus beginnt. Ich möchte gar nicht so weit weg. Schon gar nicht um so viel Geld! Ich weiß jedoch, dass in wenigen Stunden das Taxi vor der Tür stehen wird.
„Ich habe morgen einen Termin beim Steuerberater“, meint Mama leise aus der Küche. „Und Lisa muss nächste Woche wieder auf die Uni. Medizin studiert sich nicht alleine.“
„Lisa verlängert ihre Ferien und du sagst deinen Termin ab – ganz einfach!“, gibt Papa grinsend zurück. „Into-the-ocean-Premium-Hotel. Gebucht!“ Er schaut von seinem Smartphone auf und uns zwei an. Ich zucke zusammen, weil er so laut spricht. „Das geht nicht“, murmle ich, bezugnehmend auf seine Vorschläge. Oder waren es Befehle? „Papa, was, wenn jeder so leben würde wie du es derzeit tust? Wir alle haben Verpflichtungen zu leisten.“
Seit Papa mir die Privatuniversität zahlt, denkt er, ich muss gar nichts mehr für meinen Abschluss tun. Jedoch ist das auf keinen Fall mein Ziel: Selbstverständlich will ich etwas lernen, um später möglichst vielen Menschen helfen zu können.
Ich bin mir so unsicher. Natürlich gönne ich meinem Papa, sein Leben zu genießen, doch er lässt den Rest von uns auf der Strecke. Er denkt gar nicht mehr nach, was er eigentlich tut, sondern ist so bemüht, sein Leben auszuleben, dass er schon viel zu tief ins Leben untergetaucht ist. Da unten ist es dunkel und er sieht nichts mehr. Sollte ich es ihm sagen? Was wäre denn der richtige Mittelweg, sein Leben zu leben?
„Erstens lebt nicht jeder so, zweitens sollte aber jeder so leben!“, bekomme ich zu hören. Ich seufze. Seit einigen Wochen ist er krampfhaft auf der Suche nach dem perfekten Leben. Will er damit seine Trauer und seine Angst kompensieren? Er versucht glücklich und dankbar für alles zu sein. Fast schon zu glücklich. Er weiß, dass er nicht mehr lange Zeit hat. Er weiß sein Sterbedatum. An dem Tag, als er darüber Bescheid bekam, wollte er mir seine Firma überschreiben. Möbel. Holz. Technik. Mathe. Nein, war meine Antwort. Okay, war seine Reaktion. Er verkaufte sie kurzerhand. Mit dem Geld kaufte Mama zwei Wohnungen in Wien und eine in der Schweiz, damit wir auch nach seinem Tod jeden Monat ein gesichertes Einkommen haben würden. Und der Rest des Geldes? Der geht für Urlaub, feiern und Leben genießen drauf.
Ist das der richtige Weg? Zu leben, als gäbe es kein Morgen? Für ihn trifft es ja zu. Aber für uns, seine Familie und den Rest der Welt?
Er hat doch nur mehr so wenig Zeit, die er in Ruhe mit seinen Liebsten verbringt. Und der Rest? Der geht für Urlaub, feiern und Leben genießen drauf.
//frei erfunden
© Carmen Aschbacher 2021-08-07
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