Anoroc Suriv
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Wie man ES auch dreht und wendet. Auch rückwärts gelesen wird ES nicht weniger bedrohlich. ES dringt einfach ganz tief in unseren gewohnten Alltag ein, lähmt unser Tun und macht machtlos.
Im Bekanntenkreis zeigt sich jetzt, dass Frauen mit der neuen, für sie vielleicht gar nicht so ungewohnten, Situation oftmals besser umgehen können als Männer. Haben sie doch in den frühen Phasen der Mutterschaft bereits gelernt, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, persönliche Freiheiten aufzugeben, das Haus nur für eine kurze Runde mit dem Kinderwagen um den Block zu verlassen, ehe das Geschrei wieder losging. Männer tun sich da schon um Einiges schwerer, Gewohntes auf- und Selbstbestimmung abzugeben.
Da ich nach meinen beiden Krebsintermezzi als Risikopatientin mit angeschlagenem Immunsystem gelte, habe ich mich früh freiwillig in häusliche Quarantäne zurückgezogen. Abgesehen davon, dass ich meine Wohnung über alles liebe und mich hier wohlfühle, kommen mir nun auch Erfahrungen aus Erkrankungstagen zugute. Da war ich ebenfalls für lange Zeit isoliert. Über Wochen auf der Aplasie Station. Mehr Quarantäne geht nicht.
Gut erinnere ich mich an jenen Psycho-Onkologen, der bald nach meiner Aufnahme ins Krankenhaus an mein Bett gekommen war und den ich zunächst für einen Geistlichen am Weg zur letzten Ölung gehalten hatte… Dieser Psycho-Onkologe also wollte mich trösten, indem er mir erzählte, dass viele seiner Krebspatientinnen und -patienten im Nachhinein richtiggehend froh gewesen waren, diese Krankheitserfahrung gemacht zu haben. Schwachsinn! Dachte ich und wäre ich nicht so wohlerzogen und geschwächt gewesen, hätte ich ihn dafür ordentlich niedergemacht.
Heute, zehn Jahre später und zum Glück wieder gesund, würde ich wohl nicht mehr so harsch mit dem guten Mann ins Gericht gehen. Ich muss gestehen, er hatte mit seiner blasphemischen Aussage nicht ganz unrecht gehabt. Die monatelange Zeit des Krankseins war tatsächlich eine Gelassenheitsübung, eine Übung des inneren und äußeren Rückzugs, der Ruhe, des Ausklinkens aus vermeintlichen gesellschaftlichen Zwängen und Verpflichtungen. Ich bin immer gut mit mir selbst zurechtgekommen, konnte meditieren, mich entspannen und habe, auf die harte Tour zwar aber doch einigermaßen erfolgreich, gelernt, mit Splendid Isolation umzugehen.
Wenn gerade der Weg zum Müll- oder Altpapierkontainer das Highlight des Tages und zugleich der einzige Kontakt zur (ir)realen weil menschenleeren Außenwelt ist, ich für sehr viel scheinbar Alltägliches wie den Lebensmitteleinkauf auf Hilfe angewiesen bin, kann ich retrospektiv meiner überwundenen Krankheit tatsächlich auch etwas Gutes abgewinnen. Kann ich auf Erfahrungen zurückgreifen, die ich jetzt in meinem selbstverordneten Corona-Rückzug gut gebrauchen kann. Hilfe anzunehmen beispielsweise, dankbar zu sein. Ebenso wie auf meinen ungebrochenen Optimismus und die Hoffnung, dass ES vorübergehen wird.
© Caroline Kleibel 2020-03-20
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