Augen auf und durch
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„Augen zu und durch“, war meine erste fatalistische Reaktion auf die niederschmetternde Diagnose im Mai 2012, frisch zurück von den Galapagosinseln. Nein, „Augen AUF und durch“, korrigierte der Anästhesist meines Vertrauens vor der Operation, bei der mir ein Portkatheter als Zugang für die Chemotherapie unter das Schlüsselbein implantiert wurde. Und mit einem Mal verstand ich, dass ich jetzt nicht die Augen verschließen durfte vor der Realität, vor dem Unausweichlichen, sondern die Herausforderung bewusst annehmen musste. Und stark sein. Für mich. Für meine Familie. Für meine Freundinnen (Martin mitgemeint), die mich seit vielen Jahren begleiten und mein Leben bereichern.
Ich habe Krebs. Lange konnte ich es nicht aussprechen. Nicht einmal schreiben, obwohl das Schreiben mir immer geholfen hat, schwierige Situationen zu verarbeiten. Ich schreibe und plötzlich steht da, was ich meine, was ich im Innersten fühle.
"Sie haben ein hochmalignes B-Zell Lymphom Burkitt like und müssen ins Krankenhaus." "Was ist das?" "Ein Haus mit vielen Kranken." Mehr wollte ich in dem Moment nicht wissen. Angewandte Verdrängung. Ab und an ein Tritt in den Hintern, um sich des Guten rundum bewusst zu werden und im Alltag denselben wieder mehr zu schätzen, ist ja in Ordnung, aber hatte das Schicksal wirklich gleich derart brutal zutreten müssen?
An der Vergangenheit war nichts zu verändern. Und Vorschuss auf Künftiges konnte ich auch nicht nehmen. Hatte ich ungenau gewünscht? Ich war tatsächlich angesichts des Auszugs meiner beiden Söhne auf der Suche nach einer neuen Herausforderung gewesen und hatte noch keine konkrete Vorstellung davon gehabt, was das denn sein sollte. DAS hatte ich mir bestimmt nicht vorgestellt. Doch nach dem Warum zu fragen, hatte keinen Sinn. Also Augen auf und durch. Die Zeit dazu nützen, einmal auf mich und in mich zu hören. Und Vertrauen zu haben. Warum schwimmt ein Schiff? Warum fliegt ein Flugzeug? Keine Ahnung und doch steige ich vertrauensvoll ein und lass mich ohne Bedenken von A nach B bringen. Wie werde ich gesund? Keine Ahnung. Ich steige vertrauensvoll ein in die Behandlung und werde dazu beitragen, was ich vermag. Das Ziel ist das Ziel.
Ich habe Vertrauen und ich bin dankbar. Dankbarkeit macht uns klein, sie verlangt von uns, dass wir unsere Unabhängigkeit hinterfragen und macht uns unsere Abhängigkeit bewusst. Dankbarkeit aber schenkt uns auch die wunderbar entlastende Gewissheit, Teil eines großen Ganzen zu sein und nicht alles allein tragen zu müssen. Dankbar bin ich für den Schal, den meine liebe Freundin Gabi B. vom Dalai Lama bekommen und mir geschenkt hat. Dankbar bin ich, dass mit den Haaren doch auch Tränen fallen. Dankbar bin ich dafür, das Alleinsein und die Zurückgezogenheit so gut ertragen und zuversichtlich sein zu können. In den folgenden sechs Monaten mit insgesamt 13 Krankenhausaufenthalten schreibe ich jeden Tag drei Dinge auf, für die ich dankbar bin. Und meistens werden es mehr.
© Caroline Kleibel 2019-04-11
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