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Das Ziel ist das Ziel

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Das Ziel ist das Ziel | story.one

NIE hätte ich gedacht, dass die Krankheit zurückkommt. Es ging mir so gut. Ich genoss das Leben, fühlte mich rundum wohl. Es war überwunden. Scheinbar. Engmaschige medizinische Kontrollen bestätigten den erhofften Verlauf, dass ich nach allen Regeln der Medizin nach zwei Jahren gesund war. Aber die Statistik ist eben ein Hund. Und ich bin ICH.

Schlimmer noch als die Gewissheit war die Ahnung. Ich kenne mich und meinen Körper. Meine überbordende Phantasie. Für Pressetexte Wortsuchmaschinen verwenden zu müssen, war beängstigend. Ich brauchte eine Weile, es mir einzugestehen. Und ich hatte zwei Missionen zu erfüllen. Mein Hund Lucy war schwer krank ohne Aussicht auf Heilung. So entschied ich mich schweren Herzen dazu, sie einschläfern zu lassen. Was für eine Erlösung, was für ein friedlicher Seufzer, als sie abDANKTE.

Und ich wollte meine kleine Nichte in Wien kennen lernen. Mein Auftritt bei der jungen Familie war grenzwertig. Meine Verwirrtheit spürbar. Erstaunlich, dass ich zurück in den richtigen Zug ein- und wieder ausgestiegen bin. Konditioniert trottete ich heim. Im Garten war Endstation. Dort fand mich meine großartige Nachbarin, die sofort den Notarzt rief.

Es folgte die Einlieferung auf die Intensivstation der Nervenklinik und die Diagnose eines neuerlichen Tumors - im Gehirn. Dank rascher und richtiger Behandlung erlangte ich nach drei Tagen im Koma das Bewusstsein wieder. Es folgte eine mehr als einjährige Odyssee unter Zuhilfenahme massiver chemischer und radiologischer Vernichtungsmittel sowie zweier Stammzellentransplantationen.

Die Überstellung auf die Onkologie war wie Heimkommen. Ein Gefühl der Geborgenheit. Eine wohlbekannte Umgebung. Vertraute Gesichter. Und zu meiner Erleichterung konnte ich denen auch nach zwei Jahren noch allen die richtigen Namen zuordnen. Das bedeutete mir sehr viel und machte Eindruck. Man erinnerte sich noch daran, dass ich einmal Schwester Pamela mit „Hallo Rebecca“ begrüßt hatte, die daraufhin blass auf mein Bett sank und sagte, Rebecca hätte ihre verstorbene Zwillingsschwester geheißen.

Ich empfand in dem Moment keine Panik. Auf andere Menschen reagierte ich zuweilen paradox. Worte und Sinnsprüche waren mir kein Trost. Nichts, außer meinem Dalai Lama Schal. Ich wollte Verantwortung abgeben und loslassen. Urvertrauen haben. Das Ziel war das Ziel. Meine Buben waren ins Leben entlassen. Keine Nebenschauplätze, die mich schwächten. Ein großes Privileg. Pure Zeit. Es liegen so magische Momente in Extremsituationen. Ich hatte nicht darum gebeten, aber ich konnte es annehmen und daran wachsen. Mein Weg war ein guter und ich war sicher, auch diesmal würde der Tumor weggehen, das Gedächtnis und die Sprachfähigkeit in vollem Umfang zurückkommen. Und schließlich stand in meinem Entlassungsschein vom August 2016 auch tatsächlich die für einen Arztbrief nachgerade hochemotionale Abschlussdiagnose: "erfreulicherweise CR (Komplettremission)".

© Caroline Kleibel 2019-04-11

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