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#tod

Vanille oder Schokolade?

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Vanille oder Schokolade? | story.one

Als junges Mädchen hatte ich einen Verehrer. Einen Begleiter für (fast) alle Lebenslagen. Einen „Walker“ würde man so jemanden heute wohl neudeutsch nennen.

Richard war ein treuer Gefährte. Zwei Jahre älter, groß, gutaussehend. Für manche der Traumschwiegersohn. Nur für mich war er zu ernsthaft, zu strebsam, zu knausrig. Ihm fehlte die Leichtigkeit des Seins. Und so war er für mich – Teenager können grausam sein – nichts weiter als ein nützlicher Idiot. Richard war ein passabler Tänzer. Manch eine Ballnacht verbrachten wir gemeinsam. Allerdings nur so lange, bis ich mich im Gedränge des großen Saales verlor, um mich auf die Suche nach einem noch richtigeren Mr. Right zu machen. Erfolglos. Und so kehrte ich reumütig dorthin zurück, wo ich Richard hatte angelehnt lassen. Besser der Spatz in der Hand.

Richard half mir oft. Sein Referat über den Todeszug der Lemminge, das er – schon Student der Biologie – für mich verfasste, war genial und bescherte mir ein konstantes Sehr Gut in Naturgeschichte bis an das Ende meiner Schullaufbahn. Auch in meine Maturavorbereitungen brachte er sich ein. Wohl in der steten Hoffnung, dass irgendwann doch noch was aus uns würde. Keine Chance! Von zu Hause kurzgehalten, konnte er mich nie auch nur auf eine Cola einladen. Legendär unser Besuch im Eissalon. Mir war klar, dass er mich nicht auf einen Eisbecher einladen würde. Ein Steheis wurde es. Und als ich seine Frage, welche Sorte ich denn wolle, mit „Vanille und Schokolade“ beantwortete, sah er mich groß an und meinte erstaunt: Ja was jetzt?

Während meines einjährigen USA-Aufenthaltes nach der Matura schrieb mir Richard zahllose Briefe. Wohl immer noch hoffend. Doch wurde diese Hoffnung durch meine Erlebnisse und Erfahrungen im damals noch „Land of the Free“ aussichtsloser denn je. Nach meiner Rückkehr zog ich zum Studium von Innsbruck nach Salzburg. Böse Zungen meinten, das geschah nur, weil die Leopold-Franzens-Universität Kommunikationswissenschaften nicht anbot. Sei's drum. Unser Kontakt wurde dünner und dünner und schließlich setzte meine lapidare Hochzeitsanzeige im März 1987 „Wir haben geheiratet“ einen überdeutlichen Schlusspunkt.

Es vergingen viele Jahre, in denen ich nichts von Richard hörte. Wohl aber über ihn. Aus ihm war ein renommierter Naturfotograf geworden. Für die Bilderserie eines Baumes zu allen Jahreszeiten wurde er international ausgezeichnet.

Auf einem Südafrika Urlaub im Februar 2000 begegnete uns eine Tiroler Reisegruppe. Ein älteres Paar kam mir vage bekannt vor. Richards Eltern. In der Pension gaben sie ihr Erspartes nun für exotische Reisen aus. Ihr Redefluss war kaum zu bremsen. Da waren sie schon gewesen und dort und da wollten sie auch noch hin. Fast schien es, als sollte das muntere Geplauder von der Frage ablenken, die zum Greifen nah in der Luft hing. „Und wie geht es eigentlich Richard?“ Da traten Tränen in die Augen der beiden. Richard? Richard hat sich vor ein paar Jahren das Leben genommen.

© Caroline Kleibel 2020-05-15

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