Ehre, wem Ehre gebührt
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Nebelschwaden waberten über das Tal, Baumwollgärten gleich schienen die Bäume am Abhang vom Hausberg und versetzten die Landschaft in ein mystisches Paradies.
Mit gemischten Gefühlen, ja mit schwerem Herzen und tränenden Augen dachte der Bauer an den gestrigen Abend zurück. Wie gerne hätte er da seine geliebte Agnes dabeigehabt. Die grosse Ehrung für 60 Alpsommer hätte sie in gleichem Masse verdient gehabt. Ein schlimmer Unfall, ein Jahr zuvor, trennte das vertraute Glück mit brachialer Naturgewalt.
Den Anzug aus bestem Tuch holte er aus dem Schrank, zog seine polierten Schuhe an, trug den Lieblingsduft von Agnes auf und machte sich auf den Weg den er gehen musste und seiner geliebten Frau schuldig war. Passanten staunten über das seltsame Gebaren des älteren Herrn mit Blumenstrauss. Wie ein stolzer Bräutigam, mit erhobenem Haupt und festen Schrittes erreichte er den Friedhof. Ein leises Flüstern ging über seine Lippen, fast andächtig und mit glücklichen Augen legte er die Blumen, wie gestern Versprochen, seiner Seelenverwandten auf das Grab. In Gedanken war er Jahre zurück, damals auf dem Bahnhof Olten.
So ein einzigartiges Glück hatte der Berg noch nie gesehen. Schon als kleine Stöpsel wurden sie auf Vaters Rücken auf die Alp getragen. Umgeben von strengen aber lieben Eltern, lernten sie so auch früh den Umgang mit den Rindern, Schweinen und Hühnern. Auch wurde ihnen beigebracht dass Schmutz und Dreck kein Gift ist und dementsprechend war das Erscheinungsbild der Alpkinder nicht immer salonfähig, aber sie waren glücklich mit ihren Tieren, auch Murmeltiere erschienen nicht selten, nahe der Alphütte.
Auf dem Berg waren sie nicht Nachbarn und man sah sich nur beim Alp, Auf und Abtrieb. Auch der Schulweg war nicht derselbe. Wie das Leben halt spielt, irgendwann lernten sie sich kennen als sie in den Wintermonaten in fremden Diensten waren.
Am Bahnhof in Olten sahen sich die beiden eigentlich zum ersten Mal bewusst und lernten sich so auch kennen. Der Heimweg in Richtung Innerschweiz war derselbe, man hatte Zeit zum Reden, und in etwa dieselben Ansichten über die Meistersleute, positiv und negativ. Viele Eindrücke und Lehrstücke wurden ausgetauscht und man lachte und scherzte über alltägliche Vorkommnisse.
Auch die erlebte glückliche Jugendzeit gab natürlich zu reden und man kam sich nur schon den gemeinsamen Themen wegen näher. Dem jungen Mann gefiel das Mädchen mit der Modelfigur. Sein Blick in ihre grünen Augen brachte die Schmetterlinge beiderseits zum heftigen flattern. Das Zugabteil wurde für kurze Momente zur Liebeslaube. Ganz scheu fanden Zärtlichkeiten den Weg zum hübschen Gegenüber. Vielversprechend gestalteten sich auch die Ansichten über die gemeinsamen Hobbys, Berge und Tanzen.
Da war doch sicher etwas zu machen im nächsten Sommer. Auf “seiner” Alp war immer etwas los, auch eine kleine Wirtschaft gehörte zum alpinen Betrieb. An Sonntagen spielte öfters eine Musikkappelle zum Tanz auf.
© CharlyBrown 2023-02-04
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