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4.625 Nächte

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4.625 Nächte | story.one

Marianne hat Mario.

Marianne hat Mario, so wie man ein Paar bequeme Schuhe hat, die bei einer Schnäppchenjagd mitgegangen sind. Weil sie bequem aussahen, sich gut anfühlten und nicht viel kosteten. Nicht die rot lackierten Pumps mit dem heißen 7-cm-Bleistiftabsatz, von denen sie wochenlang geträumt hat. Weil sie sooo schön waren. Und sooo geil.

So hat Marianne Mario.

Nach einer fröhlichen Runde mit Freundinnen, bei der sie ein bisschen zu viel getrunken hatte, ist Mario in ihrem Leben hängen geblieben. Am Morgen danach ist er in ihrem Bett gelegen. Und am Morgen nach dem Morgen danach.

An Mario ist nichts, das Marianne sonderlich stört. Auch am viertausendsechshundertfünfundzwanzigsten Morgen danach liegt er in ihrem Bett. Ein bisschen grauer als am Morgen danach, ein bisschen weicher um den Nabel.

So wie das Schuhpaar, das noch immer bequem ist, nur das Leder sieht ein bisschen abgetragen aus. Sie zieht es an, wenn sie im Garten nach den ersten Schneeglöckchen sieht.

Marianne fragt sich manchmal, ob es nicht an der Zeit wäre, die Schuhe wegzugeben. Dann hält sie sie in der Hand, befühlt das knittrig gewordene Leder und erinnert sich. Wie die Schuhe damals ihre Füße wärmten, als sie mitten im Dezember an Omas Grab stand.

Marianne hat Marios Hand in der ihren. Sie befühlt die etwas trocken gewordene Haut und betrachtet Marios Schlafgesicht. Sie erinnert sich an die 16 Männer, die sie vor ihm hatte. Und daran, wie Mario seinen Arm um ihre Schulter legte, als sie in der Dezemberkälte an Omas offenem Grab stand.

Marianne betrachtet Marios Schlafgesicht und fasst einen Entschluss.

"Ab jetzt, Mario", flüstert sie ganz leise, um ihn nicht zu wecken, "ab jetzt liebe ich dich."

© Christine Mayr 2020-01-12

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