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#1sommer1buchtirol

Aber schon schön

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Aber schon schön | story.one

Im Urlaub möchte man es fein haben, gut essen und schöne Wanderungen machen. Man möchte türkise Seen, saftige Almwiesen und rosa Wölkchen sehen. Wenn man schon nicht an den Palmenstrand und die Sangriakübel kann, weil das Geld nicht reicht oder das Meer virusbedingt nicht empfohlen ist. Man sucht sich ein romantisches Bergtal mit sattgrünen Hängen und ehrfurchtgebietenden Felsen, stürzenden Bächen und einladenden Bachbuchten. Und weil die Hotelzimmer teuer sind, die Auszeit hart verdient ist und die Erzählausbeute für die Nachbarinnen lohnend sein soll, kann es geschehen, dass man sich den einen oder anderen Eindruck und Anblick schöner redet, als er ist.

So erlebte ich es mit den drei Frauen, die ich auf der Hütte oberhalb des Gastdorfes traf. Ich kannte sie vom Frühstücksbuffet unseres Hotels und gesellte mich zu ihnen. Der Kaffee verlangte nach einem Stück Marillenstreusel, der wiederum begehrte einen Schnaps als Draufgabe. Frau war schließlich auf Urlaub und gönnte sich sonst eh nichts. Die Terrasse war sonnig, das Panorama alpin, der Kaffee dünn und der Kuchen trocken.

Als sich die Sonne hinter der Bergkuppe auf der gegenüberliegenden Talseite zur Ruhe begab, machten wir uns auf. Wir dankten der Wirtin für den guten Kaffee und den herrlichen Streuselkuchen, von dem wir nur die Hälfte gegessen hatten, bewunderten noch einmal lautstark das Gelb der übersäuerten Wiese hinter der Hütte, die nur mehr eine vage Erinnerung an blaue Glockenblumen, weiße Margeriten und roten Klee hatte und tätschelten entzückt die Nüstern der Kälber, zu deren Schutz Mütterkühe manchmal zu Touristen-mordenden Bestien wurden.

Der Steig war schmal und abschüssig, was das Geschnatter meiner Weggefährtinnen auf ein erträgliches Maß zurechtstutzte. Eine hinter der anderen mit Sturzgefahr und Wanderstöcken kämpfend konnte sie nur schwer verstehen, was die Vorangehende in die Abendschatten der Bäume hineinplapperte. Das war auf Dauer dann doch zu anstrengend und der Abstieg verlief annähernd schweigsam.

So kamen wir ins Tal und aus dem Wald hinaus. Vor uns öffnete sich ein weiteres Tal, ein schmaleres, dunkles, sein Eingang von zwei Betonsilos flankiert. Dazwischen, dahinter, davor und daneben Bagger, ein Kran und haushohe Haufen Schotter.

Das Grüppchen blieb stehen und studierte den Anblick. „Was das wohl wird?“, fragte die eine. „Ein Speichersee“, sagte die zweite. „Eine Geschiebesperre“, vermutete die dritte. Keine der beiden Thesen überzeugte, Ratlosigkeit grub sich in die Gesichter der Frauen.

Da hatte die erste die zündende Idee und machte jene Feststellung, die den Moment und wahrscheinlich auch den Urlaubsbericht an der Nachbarsfront rettete. „Aber schon schön“, sagte sie.






© Christine Mayr 2020-07-24

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