Achter minevuar. Im jahr des adlers
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In einer zukunft, mehr oder weniger fern von heute. Gleichheit ist wirklichkeit geworden. Nicht nur zwischen frauen und männern herrscht gegenseitiger respekt, sondern alle geschlechter sind einander in immerwährender freundschaft zugetan.
Antonia, die heldin meiner utopie, spaziert an einem sonnig-kühlen tag durch ihre stadt und erfreut sich an den krokussen, die im park den frühling begrüssen und lächelt über die ampeln, die keine männchen mehr tragen, sondern unisex. Antonias ziel ist die Vergleichbar, wo sie hofft, ein warmes plätzchen für kaffee und zigarette zu finden. (So weit reicht meine fantasie leider nicht, dass ich mir eine suchtfreie gesellschaft vorstellen kann.) Sie hat glück. Das wirt hat schon tischchen im freien aufgestellt und Antonia nimmt freudig platz.
Sie ist allein und hat die musse, über frühere zeiten nachzudenken. Als der achte märz, wie der minevuar früher hiess, noch der sogenannte Internationale Frauen*tag war, an dem frau auf all das aufmerksam machen musste, was noch zu tun wäre, um ihr den platz in der gesellschaft zu bereiten, den sie verdiente und sich ersehnte. Antonia und ihre freundinnen hatten ein ritual. Sie beschenkten sich gegenseitig mit mimosen und raunten sich zu: „Wir sind stärker, als mann meint.“
Dann kam eine neue zeit. Die egalitätspartei gewann die wahlen in Bravanien und stellte die kanzlerin. Die hielt ihre wahlversprechen und krempelte die gesellschaft um. Unebenheiten des geschlechterparketts wurden geglättet, massnahmen zur erderrettung konsequent durchgeführt und politische korrektheit zur chefinsache erklärt. Die jahre wurden nach tieren benannt, um immer im bewusstsein zu haben, dass das mensch nicht das einzige fühlende wesen auf diesem planeten ist. Den monat märz überführte gent (= bravanisch für „man“) seines martialischen ursprungs und taufte ihn nach Minerva, der göttin des verteidigungskriegs.
Antonia sitzt nun, am achten minevuar im jahr des adlers vor der Vergleichbar, der cafeteria ihres vertrauens, und ist zufrieden. Auch deshalb, weil bravanisch keine männersprache mehr ist. Der kellner und die kellnerin haben ausbedient, das kellnir fragt profi-freundlich, ob Antonia noch etwas wünsche. Nein, sie ist wunschlos glücklich und beschliesst, zur feier des tages und der neuen zeit, das florist aufzusuchen und sich einen strauss mimosen zu gönnen.
(Habe ich erwähnt, dass ich von einem land in ferner zukunft träumte?)
p.s.: Sollte dir die ortografie dieser story eigenartig erscheinen, so bedenke, dass Bravaniens kanzlerin eine sprachreform initiierte, welche auch die rechtschreibung umfasste. Denn die früheren, undurchschaubaren regeln erlaubten es nur einer elite, fehlerfrei zu schreiben und dienten der abgrenzung von den „ungebildeten“. Das passt zu einem egalitären staatsgebilde gar nicht.
Foto: Luisa Brinkle on Unsplash
© Christine Mayr 2022-03-06
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