Das dumme a
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Des Kaisers liebste Gemahlin hieß Saphira und war sein größter Schatz. In Nächten, in denen er sie besonders liebte, flüsterte er: „Saphir, du mein Edelstein!“ und machte sie glücklich. So glücklich, dass sie nicht mehr anders als Saphir genannt werden mochte. Zu ihrem ersten Hochzeitstag schenkte ihr der Kaiser deshalb einen Erlass, der besagte, dass Kaiserin Saphira, Gräfin von Gendern und Herzogin zu Fluidum, von nun an Kaiserin Saphir genannt werden möge.
Dieser Erlass gefiel den Schildbürgerinnen über alle Maßen. Mit einem einzigen Federstreich war aus einer gemeinen Kaiserin ein edler Stein geworden! „Diese Wandlung stünde auch unserem schönen Schilda wohl an“, befanden sie und entschieden, die Stadt von ihrem dummen a zu befreien. Sie beauftragten Meister Tafelkratzer, eine neue Ortstafel zu schaffen und am Eingang der Stadt aufzustellen. Der machte sich unverzüglich nach Felsland auf, um eine Schiefertafel zu erstehen, die den neuen Namen der Stadt vorzüglich zur Geltung bringen würde.
Als es soweit war, gaben die Schildbürgerinnen ein großes Fest. Die Pfarrerin schwenkte das Weihrauchfass und die Rätinnen traten geschlossen vor das Tor, das den neuen Namen trug. Im Chor deklamierten sie: „Nun haben wir es weiß auf schwarz. Wir sind keine dummen Schildbürgerinnen mehr, sondern edle Schilderinnen.“
Plötzlich stürmte ein Reiter mitten durch das Festgetümmel. „Diebstahl!“, plärrte er. „Dreiste Diebinnen!“ Mit einem Pinsel durchbohrte er die schöne neue Tafel ohne dem dummen a und preschte davon. Der Stadtschreiberin gelang es jedoch, seinem Pferd ein Haxl zu stellen und den Reiter zu Fall zu bringen. „Hat Ihn der Hafer gestochen?“, fragte sie ihn. „Gestatten, Junker Schildermaler“, sagte der Reiter und klopfte sich den Staub von seinem Kittel. Er zog seinen Malerhut und überreichte der Stadtschreiberin ein mit Bienenwachs gestärktes Stück Pergament, das in allen Farben des Regenbogens beschrieben war. „Ich möchte Euch ergebenst darauf hinweisen, dass Ihr nicht das Recht habt, Euch mit meiner Erfindung zu schmücken. Diese heißt Schild und wurde jüngst vom kaiserlichen Patentamt für amtlich erklärt.“
Das wollten die Schildbürgerinnen nicht hinnehmen. Die Verwandlung Schildas konnte doch nicht am Wiehern eines Amtsschimmels scheitern! Sie schickten eine Delegation in den Palast, die Kaiserin Saphir das Anliegen schilderte. Doch die Kaiserin war davon nicht entzückt: „Wo kämen wir hin, wenn wir jeden dahergelaufenen Namen veredeln wollten? Das geziemt nur mir, der Kaiserin. Sonst könnten alle Sophias und Johannas meines Reiches zu der Überzeugung gelangen, sie wären mit einem Federstreich Herzoginnen und Gräfinnen von und zu Gendern-Fluidum. Da sei der plärrende Junker vor!“
Zur Strafe für ihre Dreistigkeit mussten die Schildbürgerinnen geloben, alle Jahre vor den Toren ihrer Stadt ein Fest auszurichten und es Plärrer zu nennen. So heißt es mancherorts heute noch.
© Christine Mayr 2022-08-14
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