Das ertrunkene Handy
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Für eine, die einen kleinen Peugeot fährt, ist auch der kleinste Lkw keine Kleinigkeit: 3,5 Tonnen schwer, 4,25 Meter lang, 2,19 Meter breit und 2,10 Meter hoch. Und kein Rückspiegel.
Bis Wien ging alles gut. Möbel einladen, auf der Autobahn den sechsten Gang einlegen, vor der neuen töchterlichen Wohnung einparken, Möbel ausladen. Nun war das Gefährt nur mehr zurückzugeben.
„Nur“ mehr zurückzugeben. Denn das intelligenzarme Navi lotste mich von links auf die Südautobahn und verlangte im Moment darauf, rechts abzubiegen. 500 Meter – höchstens – zwischen dem einen Moment und dem anderen und fünf Spuren zwischen mir und der Ausfahrt, abendverkehrüberfüllt. Kein Rückspiegel, der mir Aufschluss über das Geschehen in meinem Rücken gegeben hätte. Nur dieser gottverdammte Außenspiegel, zweigeteilt. Oben die heranbrausenden Autos weit weg, unten ganz nah. Oder umgekehrt. Ich legte den Blinker ein und rief meine Chuzpe zu Hilfe. Nur mehr 400 Meter. Hinter mir Gehupe. Nur mehr 300 Meter. Eine Lichthupe bedeutete mir: fahr! Noch 200 Meter. Ich wechselte die Spur und sah die Ausfahrt hinter mir verschwinden. Das Navi motzte eine Weile, entschied sich dann aber doch zur Zusammenarbeit. Ich arbeitete mich Spur für Spur nach rechts, nahm die nächste Ausfahrt und fand schließlich den Fuhrpark des Autoverleihs.
Nicht nur meine Hände zitterten, als ich Wasserflasche, Handy und was sonst noch im Führerhaus von mir herumlag, in die Handtasche warf, während ich mich auf das konzentrierte, was jetzt noch zu tun war, um den großen kleinen Lkw ordnungsgemäß zu hinterlassen. Getankt hatte ich, meine Wasserflasche für den abendlichen Durst gefüllt. Also Schlüssel in den Tresor werfen und ab.
In der U-Bahn spürte ich das Vibrieren meines Telefons. Egal. Ich war zu erschöpft, um mit jemandem zu sprechen. Als ich ausstieg, vibrierte es immer noch. Hat einen langen Atem, dachte ich und griff in meine Handtasche, um nachzusehen.
Ich griff in einen See. Geldtasche, Taschentücher, Handy – alles geflutet. Ich kippte den See auf den Asphalt, viel zu müde, um etwas zu denken, stopfte alle Sachen wieder in die Tasche und suchte die Wohnung meiner Tochter. Morgen werde ich mich um das Malheur kümmern. Jetzt nur noch schlafen. Schlafen. Das Handy hatte endlich aufgehört zu vibrieren.
Im Fachgeschäft für ertrunkene Handys sagte man mir dann: keine Chance, nichts zu retten, alles weg. Fotos, Nachrichten, Kontakte. Also auch die Kontakte meines früheren Lebens.
Ich dankte dem Übersiedlungsgott, dass sonst alles gut gegangen war und kaufte mir ein neues Telefon. Jetzt passiert es mir nicht mehr, dass ich ein sexy SMS an einen Abgeordneten schicke anstatt an meinen Freund, weil sich die Finger in der Adresszeile vertan hatten. Diese Finger, die sich jahrelang geweigert hatten, auch nur einen der alten beruflichen Kontakte zu löschen.
© Christine Mayr 2020-08-18
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