Der Bierbrauer mit den roten Socken
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Das Bildungshaus trug den Namen Regina Pacis und über dem Bett hing ein toter Mann am Kreuz. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um endlich – endlich! – wieder einmal eine Schreibakademie zu besuchen. Eine ganze Woche lang in schweigsamer schreibender Gesellschaft an Texten tüfteln – wie herrlich.
Zumal ich schon beim Einparken gesehen hatte, dass irdische Labung nahe war: Das katholische Bildungsgrundstück grenzte an eine Brauerei. Um deren Erzeugnis zu kosten, musste ich die Grenze aber gar nicht überschreiten, wie ich nach dem Einchecken sofort feststellte. Im Selbstentnahme-Kühlschrank standen die Härles von Gold bis Weiße in handlichen 0,33-l-Fläschchen bereit. Für den abendlichen Durst nach vernichtenden oder ermunternden Textbesprechungen. Zu meinem Glück musste ich das wohlmundende Gesöff nie dazu missbrauchen, Frust hinunterzuspülen. Ich konnte es mir in herbstlicher Abendsonne und am Abend durchaus gesprächiger Gesellschaft schmecken lassen.
Das rief natürlich nach einem Mini-Umweg vor der Heimfahrt. Eine Kiste des schäumenden Genusses mit nach Hause nehmen. „Du meinst einen Kasten?“, fragte mich der Mann, den ich kurz vor Feierabend angetroffen hatte. Er sah wenig brauereiuniformiert aus und rote Sockenränder ringelten sich aus seinen glänzenden Lederschuhen. „Die Mannschaft ist schon im Wochenende“, sagte er und hievte die Kasten-Kiste in den Kofferraum meines Autos. „Den Kasten kannst du auch in Kempten zurückgeben“, sagte er mit einem Blick auf mein Tiroler Kennzeichen. „Gut“, sagte ich, „aber vielleicht bin ich eh im Frühling wieder da“. Meine Buchidee hatte in der Woche zwar Gestalt angenommen, aber bis zu einem tauglichen Konzept würde ich schon noch einmal bei der Königin des Friedens Zuflucht nehmen müssen. „Wohl bekomm’s“, sagte er und ich machte mich auf den Weg.
Kurz nach der Grenze kehrte ich ein und blätterte bei Apfelstrudel Zeitschriften durch. „Deutschlands erste klimaneutrale Brauerei“ stand da in großen Lettern über bunten Bildern. Eines kam mir bekannt vor, also las ich. Über rapsdieselbetriebenen Fuhrpark und die Beschränkung auf Lieferdistanzen von höchstens 50 Kilometern. Deshalb Kempten, wusste ich nun. Das ist nahe genug an der Brauerei. Dann schaute ich die Bilder an, allen voran das eine, das mich zum Lesen bewogen hatte. Es zeigte den Firmenchef, stolz das rechte Bein auf eine Kiste Härle Gold gestützt. Über dem Schuh ringelte sich ein roter Sockenrand.
© Christine Mayr 2020-08-03
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