Der dreifach Belastete
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„Puhhh …“, hörte ich ihn jammern, als er sich neben mir aufs Sofa streckte, „ich pack’s nimmer“.
Typisch Mann, dachte ich. Kaum braucht Frau einmal etwas von ihm, ist es gleich zu viel. Ja, okay, ich habe ihm in letzter Zeit ein bisschen was abverlangt, aber – sorry – das Leben ist eben kein Streichelzoo. Ab und zu muss auch Mann etwas schultern, eigene Bedürfnisse kurz mal zurückstecken, der Frau im Haus das eine oder andere Hindernis aus dem Weg räumen und für gute Stimmung sorgen. Vor allem das: für gute Stimmung sorgen. Das ist ja der wahre, der tiefe und genau genommen der einzige Grund, warum ich mit ihm beisammen bin. Alles andere geht zur Not ja auch allein oder mit anderen, mit Nachbarn, Freunden oder bezahltem Personal.
„Ja“, hörte ich ihn seufzen, „du stellst dir das so einfach vor – gute Stimmung verbreiten. Du hast keine Ahnung, wie viel Arbeit da dahintersteckt, um immer gut gelaunt zu sein“.
„Von immer gut gelaunt kann bei dir keine Rede sein“, entgegnete ich. „In letzter Zeit grantelst du oft, schaust drein wie ein alter Griesgram. Dabei bist du doch in den besten Jahren.“
„Die Dreifachbelastung“, stöhnte er und schaute mich bernsteinfarben an.
„Wo, bitte, hast DU eine Dreifachbelastung?“, zischte ich ziemlich unwirsch. „Wer hält den Haushalt in Schuss, löst alle technischen Probleme, die in einem Haus ständig auftauchen, wer schafft Geld heran, wer setzt sich extra ins Auto, um dein Lieblingsessen zu besorgen und dich ausgewogen zu ernähren? Wer? Hm?“
Er schaute weg von mir, interessierte sich plötzlich intensiv für einen Fleck am Wohnzimmerplafond. „Ja, ich weiß“, sagte ich ein wenig schuldbewusst, „hier gehörte schon längst einmal ausgemalt. Aber bei meiner x-fach-Belastung …“
Er rollte sich auf die Seite und atmete geräuschvoll aus; ich war mir sicher, Genervtheit zu hören. Dann setzte er sich auf und kratzte sich am Hinterkopf. „Weißt du“, hörte ich ihn ächzen, „ich bin ja gern dein Therapeut. Gute Stimmung verbreiten liegt in meiner Natur. Aber ich muss das neben meinen Nachtdiensten machen. Und untertags, wenn ich mich erholen will und meinen Schlaf brauche, dann nimmst du Bleistift und Papier und sagst: Nemorino, jetzt ist dein Talent als Muse gefragt. Setz dich zu mir und beflügle meine Fantasie. Diese Zeit geht mir dann vom Schlaf ab. Katzen brauchen sechzehn Stunden Schlaf, weißt du das nicht?“
„Manche kommen auch mit zwölf aus“, sagte ich.
„Ja, aber die müssen nicht in der Nacht Mäuse jagen, am Tag für gute Stimmung sorgen und dann auch noch auf Schreibtischen herumliegen und ihre Haus-Frau zu Geschichten inspirieren.“
„Okay“, sagte ich, „das verstehe ich. Weißt du was? Ich gebe dir heute frei und setze mich in mein Kaffeehaus, um zu schreiben. Espressi und menschliche Gesellschaft können Muse manchmal auch gut“.
Foto: Mitchell Hollander on Unsplash
© Christine Mayr 2020-09-02
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