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#1sommer1buchtirol

Der Irrtum ist männlich

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Der Irrtum ist männlich | story.one

Er versaute mir den Sonntag.

Als ich in der Früh, eh schon grantig von einem fiesen Traum, das Handy einschaltete, zeigte es mir einen versäumten Anruf und ein SMS. Von einer unbekannten Nummer. Das passiert mir öfters, weil die Kontakte meines alten Lebens verloren gegangen sind.

„21.58 Uhr. Bitte um Rückruf. LG G.“

G – das konnte nur EINER sein. Einer, den ich überhaupt nicht brauchen konnte, schon gar nicht an einem sonnigen Sonntag. Dieser G hatte mich jahrelang mit dienstlichen Aufträgen an Wochenenden gepiesackt. Jetzt hat er wohl von meinem Buch gehört und will mich zusammenscheißen. A bsoffene Gschicht wahrscheinlich, wenn einer um zehn am Abend anruft. Der kann warten. Zuerst geh ich wandern. Ich bin nicht mehr seine Dienerin.

Auf dem Weg zwischen Kuhfladen und Pferdegack arbeitete mein Kopf. Was könnte IHM nicht passen? Die Geschichte von dem Abgeordneten, der mit einem Job versorgt werden musste? Die Schilderung des faulen Kollegen? Dass die Frauen besser wegkommen als die Männer?

Im Grunde alles harmlos. Kann überall vorkommen. Niemand wird mit Namen genannt. Zeiten und Orte habe ich verschleiert, die Dialoge großteils erfunden. Was will der Machtjunkie von mir? Was kann er mir antun? Meint er, mein Buch könnte den Ruf der Partei schädigen? Oder gar seine Karriere? Die wirklichen Blödheiten hab ich doch eh nicht erzählt. Ich habe keine Geheimnisse verraten, ich habe nur Ereignisse erwähnt, über die ohnehin in den Medien berichtet wurde. Also was?? Was regt ihn auf?

Die Wanderung hätte so schön sein können. Alle Zutaten da: Sonne, Almrosenblüte, klares Seewasser, muntere Kaulquappen und plantschende Hunde. Aber ich rammte meine Wanderstöcke bei jedem Schritt in den unschuldigen Almboden und focht einen virtuellen Kampf. Rede und Gegenrede, Argument und Gegenargument, Angriff und Verteidigung. Zu Mittag war ich es leid und verfügte mich nach Hause.

Mit einem Kaffee trank ich mir Mut an und wählte die fremde Nummer. Niemand meldete sich, nicht einmal eine Sprachbox. Dann halt nicht. Geh ich eben Haare waschen und koche mir danach etwas.

Während des Geplätschers der Dusche hörte ich den Klingelton meines Handys. Der kann mich mal, sagte ich zum Shampoo in meiner Hand, ich springe jetzt nicht diensteifrig in die Küche, um mir einen Anschiss abzuholen.

Das SMS meldete eine Sprachnachricht. Ich hörte sie nach Dusche, Haare trocknen und essen ab. „Ja, hallo du, schade, dass ich dich nicht erreiche und entschuldige, dass ich dich am Sonntag störe. Aber meine Frau hat mir aufgetragen, dich anzurufen. Und du kennst sie ja – wenn sie was will, muss das sofort sein. Ich soll dir sagen, sie hat dein Buch gelesen und sie ist … begeistert. Gratuliere!“

Auch mein Lieblingskollege aus Germanistikzeiten hat den Vornamen G.




© Christine Mayr 2020-08-07

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