Der Trick mit dem Schaufenster
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Die Frau steigt ein und lässt den Motor an, als ob nichts wäre. Dabei ist ihr Auto vor dem leerstehenden Geschäftslokal hundsgemein eingeparkt. Hinten zehn Zentimeter Abstand, vorne maximal zwanzig.
Mir passiert das auch öfter, denn ich habe ein Faible für Parkplätze entlang der Straßenbahnschienen. Erstens mag ich grundsätzlich die Herausforderung, arschlings einzuparken (wahrscheinlich weil mir das Wort so gut gefällt 😉) und zweitens betrachte ich es als Anti-Stress-Immunisierung, wenn die Tram mit stürmischem Klingeln naht und ich mein Auto schnell in die Sicherheit der Parklücke bringen muss.
Allerdings hat die Lust am Herausgefordertwerden auch ihre Grenzen. Die liegen dort, wo eine Parklücke weniger als einen halben Meter Rangierraum bietet. Zumal mein Auto über keine Einparkhilfe verfügt. Es kann zwar Dämmerung erkennen und eigenständig das Licht einschalten, aber den Abstand zum Wagen hinter sich messen, das kann es nicht. Was bei zehn Zentimetern aber ohnehin keine Hilfe wäre, denn die Messgeräte fangen ja schon bei drei Dezimetern zu paniken an.
Beim Einparken kann ich wählen. Plage ich mich hinein in eine kleine Lücke, weil sie nah zur Wohnung ist oder suche ich mir einen entfernteren Platz? Einen von den Schrägparkplätzen vor dem Schwimmbad, zum Beispiel. Wo ich mein Auto abstellen musste, bevor ich auf Urlaub fuhr. Schilder hatten mich gewarnt, dass vor dem Geschäft parkende Autos in dieser Woche abgeschleppt würden. Vielleicht hat ja jemand das leerstehende Lokal übernommen und beginnt mit Umbauarbeiten?
Nein, klärte mich mein Auto nachher auf. Da sind Filmszenen mit Nina Proll und Markus Linder gedreht worden. Schau doch mal, wie sauber die Fenster jetzt sind. Was interessiert es mich, dass die Fenster sauber sind?, habe ich gesagt und mein Auto hat geblinzelt. Du wirst schon sehen.
Die Nonchalance der Frau, die gerade den Rückwärtsgang einlegt, fasziniert mich. Ich bleibe stehen und schaue ihr zu. Gemein, ja, aber sie hat eh keine Augen für die Gafferin, sondern konzentriert sich. Allerdings nicht auf den Rückspiegel. Sondern? Ich folge der Richtung ihres fokussierten Blicks und sehe ein Schaufenster. Darin spiegelt sich ihr Wagen, der langsam nach hinten rollt und einen halben Zentimeter vor der Stoßstange des dahinterstehenden stoppt. Dann legt die Lenkerin den ersten Gang ein und macht das Gleiche nach vorn. Eine Haarbreite vor dem anderen feindlichen Blech bremst sie und kurbelt sich wieder zurück. Nach drei Kurbel-Fahr-und-Bremsmanövern ist sie draußen und zischt ab.
All das habe ich im Spiegel gesehen und mich bei meinem Auto entschuldigt. Ja, saubere Schaufensterscheiben haben was, gell?, sagt es zu mir. Ab jetzt kommen wir beide aus jeder Parklücke heraus, ungeachtet wie kurz sie ist. Du musst mich nur vor einem spiegelnden Schaufenster abstellen.
© Christine Mayr 2021-12-02
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