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Dick aufgetragen

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Dick aufgetragen | story.one

Dick auftragen ist nicht so meine Sache. Ich bin eher von der Art, die ihr Licht gern einmal unter den Scheffel stellt. „Bescheidenheit ist eine Zier“ und so. „Doch weiter kommt man ohne ihr“ habe ich zwar gehört, aber nicht erlernt.

Dabei gäbe es bestimmt das eine oder andere Textchen, das eine oder andere Strickwerk, das einem Scheinwerfer gewachsen wäre. Das man auch bei Licht besehen gelten lassen könnte. Die eigenhändig lackierten Türen weniger. Das muss man in aller Nüchternheit feststellen.

Obwohl ich mir gerade dabei besonders viel Mühe gegeben habe. Sogar eine Schleifmaschine habe ich mir extra für das Projekt Türverschönerung gekauft. Die jahrzehntealte Lackschicht abgeschliffen, mit Mund- und Nasenmaske der staubabwehrenden Sorte. Lack der hochgelobten wasserlöslichen Marke gekauft und mich vom Fachmann beraten lassen. Was ist zu beachten? Was habe ich möglicherweise nicht bedacht?

Den Lack gut umrühren, keiner großen Hitze aussetzen, den Untergrund gut anschleifen und sauberwischen. Den ersten Auftrag ein paar Stunden trocknen lassen, dann noch einmal pinseln. Oder rollen. Habe ich alles brav und wie empfohlen gemacht.

Schön weiß war sie dann auch, die Küchentür. Nur irgendwie nicht wirklich glatt. Haarfeine Rillen waren zu sehen und vor allem zu spüren. Wenn ich mit den Fingerkuppen darüberstrich. Und kaum war sie eingehängt und in Betrieb genommen, war sie auch schon schmutzig; dort wo man hingreift, wenn man ihr einen Schubs gibt, dort wo man hinlangt, wenn man die Klinke nicht bemüht.

Ich versuchte es bei der Badezimmertür besser zu machen. Danach bei der Verandatür. Aber bei beiden das gleiche unglatte Ergebnis.

Ich klagte dem Farbenhändler meine Enttäuschung. Er hörte sich alles geduldig an, fragte nach (Gepinselt oder gerollt? Ordentlich abgeschliffen? Den Untergrund sauber abgewischt?) und ließ mich sogar an einem Brett einen Lackierversuch machen. „Du machst alles richtig, Mädl“, sagte er dann, „nur eines nicht.“ Und er nahm mir den Pinsel aus der Hand, tunkte ihn tief in die Lackdose und strich über das Brett. „Damit das was wird, musst du ordentlich dick auftragen.“

Zuhause übte ich dann. Wohnzimmertür, Kinderzimmer- und Schlafzimmertür. Ich tunkte den Pinsel tief in den Lack und verbot meiner Hand, zu viel davon am Dosenrand abzustreifen. „Dick auftragen“, sagte ich mir, „nicht so gsparig, nicht so bescheiden. Du musst lernen, richtig dick aufzutragen.“ Bei Tür Nummero 7 konnte ich es dann. Sie ist glatt wie ein frisches Gummibaumblatt.

© Christine Mayr 2020-10-06

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