skip to main content

Die Art der Krokusse

  • 74
Die Art der Krokusse | story.one

Was die Baustelle mit unserem Garten angerichtet hat, tut mir in der Seele weh. Wobei – die Baustelle kann genau genommen nichts dafür. Sie ist einfach Baustelle. Eher waren es die Arbeiter, die gewütet haben, lieblos, unachtsam, mit Sicherheit schlecht gelaunt und vermutlich schlecht bezahlt. Unser Hausherr neigt nämlich zu Geiz. Sie haben den Rasen zertrampelt, Metalltüren in die Büsche geworfen, Töpfe mit Oleander und Fetten Hennen mit Fußtritten aus dem Weg geschafft, Satellitenschüsseln im Forsythienstrauch deponiert. Wenn es regnet, ist der Weg zu den Mülltonnen zentimeterdicker Matsch. Wenn der Wind weht, flattern Plastikfetzen im Ahorn.

Die Nachbarn zeigen sich je nach Temperament verärgert, angepisst oder auf Beschwerde sinnend, die Nachbarinnen – je nach Temperament – traurig oder um Schadensbegrenzung bemüht. Mal stellt eine umgeworfene Topfpflanzen wieder auf, mal sammelt eine alles Plastik ein, das sich in erreichbaren Baumhöhen verheddert hat, mal schlichtet eine abgerissene Äste zu einem manierlichen Haufen.

Der zerstörte Garten ist Thema jeder Stiegenhausbegegnung und sogar mein Kater zieht es vor, sich sein Abenteuerrevier vom oberen Ende seiner Katzenwendeltreppe anzusehen, anstatt zwischen Glasscherben, Holzsplittern und Betonpatzen auf Mäusejagd zu gehen. Vielleicht, weil er sich einmal eine blutige Pfote geholt hat.

Als ich heute mit Biomüllkübel und Restmüllsack in der braun-grauen Charmelosigkeit unseres einstmals bunt blühenden und grün wogenden Gartens stand, war da, inmitten von Matsch und Sägespänen ein kleiner, violetter Punkt. Ich machte einen Schritt darauf zu und rückte meine Brille zurecht. Der Punkt entpuppte sich als handtellergroßer Kreis, violett mit Grün drumherum. Krokusse. Sieben knöchelhohe Frühlingsboten standen da, dicht gedrängt, unbeeindruckt, unverdrossen. Standen einfach nur da. Weil es ihre Art ist, in der Sonne des späten Februar herumzustehen und Krokus zu sein. Ich habe sie mit Tränen der Freude gegossen.

© Christine Mayr 2022-02-15

Kommentare

Gehöre zu den Ersten, die die Geschichte kommentieren

Jede*r Autor*in freut sich über Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.