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Ein Topf voll Gold

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Ein Topf voll Gold | story.one

In den Falten seiner Haut sitzt der Staub der Stadt. Grau kringeln sich seine Haare um Schläfen und Stirn. Unter der Oberlippe fehlt ein Eckzahn. Vor seinen gekreuzten Beinen hat er seine Kappe aufgelegt. Matt liegen ein paar Münzen darin.

Eine Frau geht an ihm vorbei. Bleibt stehen. Zögert. Denkt nach. Sie ist heute auf einen Kaffee eingeladen worden. Zwei Euro hat sie sich so gespart. Sie kramt in ihrer Geldtasche. Dann geht sie die paar Schritte zu ihm zurück. Eine Münze glänzt in ihrer Hand. Sie bückt sich und legt sie in die Kappe. Alles Gute, sagt sie und schaut in blaue Augen. Wache Augen. Sie lächeln danke.

Er steht an der Haltestelle. Er soll vorsprechen. Bei einem Spengler. Ein Job für den Sommer, vielleicht. Ein Container zum Übernachten. Draußen, am Rande der Stadt. Zu Fuß eine Stunde zu gehen. Im Bus das Risiko erwischt zu werden.

Er zieht seine Jeans hinauf, über die schmal gewordenen Hüften. Ein Gürtel wäre hilfreich. Im Hosensack klimpern die Münzen, die ihm der Vormittag eingebracht hat. Seine Finger spielen damit. Sein Kopf denkt nach. Erinnert sich. An die glänzende Münze vor ihm in der Kappe. Wie sie kurz in der Sonne geblitzt hat. Seine Finger tasten die Geldstücke ab. Der Kopf denkt. Wenn ich diese eine Münze erwische. Die glänzende. Die golden glänzende. Dann. Daumen und Zeigefinger tasten die Geldstücke ab. Ihre Oberfläche, ihre Größe. Fünf Cent, fünfzig Cent, zwei Euro. Wenn ich die glänzende erwische. Dann. Er hat schon lang keinen Fahrschein mehr gekauft. Ob zwei Euro reichen?

Seine Finger entscheiden sich. Drücken eine Zwei-Euro-Münze. Als der Bus einfährt, schaut er. Ob es die glänzende ist, die goldene. Und steigt ein. Vorne, beim Fahrer, bei der Kassa. Einmal, bitte, sagt er und legt die Münze auf die Ablage. Sie glänzt. Golden.

Er steckt das Ticket in die Stempelmaschine und lässt sich auf einen Sitz sinken. Die Bustüren schließen sich piepend und er hört eine bekannte Stimme. Hört die bekannte Aufforderung. Fahrscheine, bitte. Er sieht das bekannte Gesicht, das bekannte Grinsen, das dem Rauswurf vorausgeht.

Er fingert den Fahrschein aus seiner Gesäßtasche. Das Grinsen weicht. In einen Topf voll Gold gefallen?, fragt die Stimme.

Vielleicht, sagt er.

An der Endhaltestelle gibt es einen Brunnen. Er wäscht sich den Staub aus den Hautfalten. Er setzt seine Kappe auf und streicht sich die grauen Locken aus dem Gesicht. Dann öffnet er die Tür zur Spenglerei. Von seinem ersten Geld wird er sich einen Gürtel kaufen.

Foto: K. Mitch Hodge on Unsplash

© Christine Mayr 2022-07-13

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