Er will doch nur spielen
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Im Wettbewerb um das Buch, das jemandes Leben verändert hat, ist viel von der Bibel die Rede, dem Buch der Bücher, wie manche sagen. Da kann ich nicht mitreden. Obwohl zwölf Jahre Ursulinenschule. In einer Bibel gelesen habe ich nie. Aber die eine oder andere Geschichte wurde mir erzählt. Und hat sich in einem Hinterstübchen meiner Erinnerung eingenistet. Die von Hiob zum Beispiel.
Anderes, was ich von Pfarrern, Religionslehrern und Klosterfrauen gelernt habe, drängt sich dagegen ständig in den Vordergrund. Zurzeit besonders die Lehre von Seiner Strenge. Kleine Sünden bestrafe Er sofort, große in der Hölle.
Folgerichtig sehe ich alle meine kleinen und größeren Leiden als Bestrafung. Für meine Sünden, die zwar meist klein, aber zahlreich sind. Jedes Mal, wenn mein Magen zwickt oder die Beine zicken, wenn die Bronchien brennen oder sich ein Muskel verkrampft, denke ich: Strafe! Und frage mich, gegen welches Gebot der gesunden Lebensweise ich verstoßen, welche medizinische Regel ich nicht beachtet, was ich meinem Körper angetan oder verweigert habe, damit ich diese Strafe verdiene. Für welche Sünde muss ich heute büßen?
Ich sehe Ihn zürnend vor mir, die Peitsche schwingend, mir Schmerzen zufügend – all die erzieherischen Maßnahmen der alten Schule auspackend, um mich zu einem gottgefälligen Leben zu bewegen. Du bist so gemein!, schreie ich Ihn an, Du gönnst mir gar nichts! Kein Bierchen, keinen faulen Tag, keine Zigarette.
Aber täusche ich mich vielleicht in meinem Zorn? Vielleicht will Er ja nur spielen, sich die Zeit vertreiben, die Langeweile überbrücken? Vielleicht hat Er ja auch nur schlecht geschlafen. Oder es reitet Ihn der Teufel.
Die Vermutung liegt nahe, dass es Letzteres ist. Denn so steht es geschrieben. In der Geschichte, die in meinem Hinterstübchen abgelegt ist. Es war Satan, der Ihn überredete, Hiob mit Plagen zu schlagen. Diesen Mann, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, der in unerschütterlichem Glauben an Ihn lebte. Nur halt ein bissl zu gut, wie der Teufel befand. Ein bissl zu reich und ein bissl zu glücklich. Prüfe diesen Hiob, forderte er, prüfe seine Gottesfurcht. Also prüfte Er ihn. Beraubte Hiob seiner Familie, seines Reichtums und letztlich auch seiner Gesundheit. Wird Hiob vom Glauben abfallen, wird er Ihn verfluchen? Das will Er wissen. Und erfüllt des Teufels Forderungen.
Keine Rede von Sünde und Sühne, von Vergehen und Strafe.
Das erleichtert meine Lage enorm. Wenn ich Ihn mir spielend vorstelle, wie Er die Wette mit dem Teufel gewinnen will, dann fällt das zersetzende Grübeln um das Warum meiner Leiden weg. Das ist schon die halbe Erlösung. Die Schmerzen allein reichen ja. Ich brauche die selbstquälerischen Fragen nach meinen möglichen Sünden nicht auch noch.
Also danke ich Ihm, der Heiligen Schrift und Wikipedia für die Geschichte von Hiob. Eine Geschichte, die mein Leben irgendwann nachhaltig verändert haben wird.
© Christine Mayr 2021-11-20
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