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Esssere felice

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Esssere felice | story.one

Dieser Kaffee! Ein Vorgeschmack auf das Paradies. Dabei sitze ich gar nicht auf einer italienischen Piazza, gestreichelt von einer freundlichen Sonne, sondern im Nieselregen, umgeben von allen Möbelhäusern der österreichischen Einrichtungswelt. Und der Tag hat gar nicht gut angefangen.

Sondern damit, dass ich in die Stadt musste. Weil noch Zeit bis zum Mittagshunger war, schleppte ich mich hinein. Etwas besorgen, das nur dort zu bekommen ist. Gern tue ich das nicht. Denn in der Stadt lauert etwas, das mir nicht guttut. Nie. Und heute schon gar nicht. In diesem Gemütszustand am Rande der Weinerlichkeit.

Wahrscheinlich ist es diesem tränentrüben Blick zuzuschreiben, dass ich mich fragte, wo denn, bitte, wo sind die glücklichen Menschen? An diesem Ort, an dem Milch und Honig fließen, müssten sie doch eigentlich sein. An diesem Ort, wo Mode, Marken und Exklusivität im Überfluss quellen und all jene hinlocken, die sich nie in ein Einkaufszentrum am Rande der Stadt verirren würden.

Mädchenhaft eilende Gestalten zeigten aus der Nähe Gesichterfalten, die aus beständiger Sorge erwachsen waren. Modisch gestylte Brillen saßen vor gestressten Augen. Maßgefertigt beringte Finger klammerten sich um die Griffe edler Einkaufstüten.

Wie viel es doch braucht, um glücklich zu sein. Die Ströme von Milch und Honig reichen nicht aus. All die Milchshakes und Vanillekaffees, die die Stadt zu bieten hat, die kunstvoll drapierten Spagetti, die Biosteaks aus hauseigener Rinderzucht, die seidigen Slips, die kecken BHs, die handgeformten Hüte, die glitzernden Krawattennadeln, die eng sitzenden Sakkos, die teuer zu kurz geratenen Hosen, die kunstvoll zerfetzten Jeans, das schmeichelnde Leder figurbetonter Jacken, die geharzten Beine der Frauen, die enthaarten Brustfronten der Männer – all das reicht nicht aus, um ein bisschen Glück in die Gesichter der Straße zu zaubern.

Ich bin geflohen. Hinaus aus der Stadt. Ins Gewerbegebiet. Dorthin, wo sich eine Zoowelt zwischen die Möbelriesen geschummelt hat. Nicht, dass ich einen Zoo zuhause hätte, aber irgendwo muss ich ja das Futter für meinen hungrigen Kater kaufen.

Dass es sie nur draußen vor der Stadt gibt, ist heute mein Glück. Denn eine Bäckerei zwischen Katzenfutter und Einbauschrank serviert Kaffee. Erschöpft von der Stadt und ihren unglücklichen Menschen rette ich mich unter das Blechdach und bestelle einen Espresso.

Er ist schwarz wie Kohle. Der erste Schluck schmeckt bitter wie das Leben, der zweite süß wie das Paradies und der dritte farbig wie ein Regenbogen. Ich kann es nicht glauben und probiere noch einmal. Auf meinem Gaumen entfaltet sich ein Fächer unbeschreiblicher Geschmackstöne und mein Mund wird ein Lächeln. Wie wenig es doch braucht, um glücklich zu sein! Nur einen caffetino der richtigen Marke. Der Marke mit den drei s. S wie scienza, sapienza und specializzazione.

So gesehen braucht es doch viel, um mich glücklich zu machen.

© Christine Mayr 2021-10-07

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