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Gerollter Fascienball an Küchenwand

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Gerollter Fascienball an Küchenwand | story.one

Dass mir mein Kater als Therapeut zugeteilt wurde, ist ja nichts Neues. Ob diese Zuteilung ein ferner Gott, das Schicksal, die Glücksfee oder ein Zufallsgenerator vorgenommen hat, tut nichts zur Sache. Faktum ist, dass ich bisher davon ausgegangen bin, die Therapie sei psychologischer Natur.

Faktum ist auch, dass er nach seinem vierwöchigen unfreiwilligen Exil im nachbarlichen Hof ausgehungert und abgemagert war und es mir große Freude machte, dem Wiedergefundenen beim Schnabulieren zuzusehen. Ich stand neben seinem Futterschälchen und erfreute mich am Knacken, mit dem er seine Proteinhäppchen zerbiss.

Nach ein paar Tagen hatte ich mich sattgehört, stellte ihm den Futternapf hin und wandte mich anderen Aufgaben zu. Raus auf die Veranda zum Beispiel, eine rauchen. Oder die Wäsche abnehmen. Oder den Bleistift spitzen.

Wovon mein Kater aber nichts mehr hielt. Er unterbrach seine Mahlzeit, stellte sich mir in den Weg, schlich um meine Füße, setzte sich auf meine Zehen. Erst als ich wieder neben seiner Futterstelle stand, fraß er weiter. „Bleib ich halt“, dachte ich mir, da er noch immer mager war. „Muss ich dir jetzt immer beim Essen Gesellschaft leisten?“, fragte ich ihn. „Wenn du willst, dass ich mein altes Kampfgewicht wieder bekomme, ja“, antwortete er. „Das ist ja total langweilig“, motzte ich. „Nicht mein Problem“, sagte er, „aber du kannst die Zeit ja therapeutisch nutzen.“

Begeistert war ich nicht, aber ein Rippengestell von Katze wollte ich auch nicht länger um mich haben. Also stellte ich mich bei der nächsten Raubtierfütterung wieder zu ihm, studierte das Schmutzmuster der Wand vor mir und überlegte, wann ich die Küche zuletzt ausgemalt hatte.

Da kamen mir meine Rückenschmerzen zu Hilfe. „Stellen Sie sich hüftbreit vor diese Wand und stützen Sie Ihre Arme in Schulterhöhe auf“, wies mich die Physiotherapeutin an. „Dann schieben Sie Ihr Brustbein vor und zurück. Nun drehen Sie sich um und klemmen diesen Fascienball“ - sie reichte mir ein Ding, das ich Tennisball genannt hätte – „in BH-Höhe zwischen Ihrem Rücken und der Wand ein. Dann gehen Sie in die Knie. Und wieder hoch. Gut so. Und noch zehnmal. Der Ball massiert so Ihre Muskelfasern.“

Wie ich also meinem Kater Gesellschaft leistend herumstand, kamen mir die Anweisungen meiner Vorturnerin in den Sinn und ich machte einen Schritt auf die Wand zu. Kater fraß weiter. Ich stemmte und schob und beugte. Er blieb beim Mampfen.

Als er satt war und sich für seine nachmahlzeitliche Hygiene zurückzog, ging ich den Tennisball holen, der seit Jahren in der Kiste mit den Tischtennisschlägern ein unbenutztes Dasein führte.

Das wurde zu unserem Ritual. Allabendlich serviere ich meinem Haustier als Beilage zu seiner Hauptspeise gerollten Fascienball an Küchenwand. Und weil ich noch nicht geheilt bin, frisst er immer noch.

© Christine Mayr 2020-09-20

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