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Herrin im Haus

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Herrin im Haus | story.one

Es fühlt sich gar nicht gut an, Dienstmagd im eigenen Haus zu sein. Beherrscht von einem Luder: der Gier nach Zigaretten und Schokolade.

Jede Nacht stehe ich auf, um mich über meine Kochschokolade herzumachen (von Manner. Immer von Manner!). Während sich das Tages-Ich vornimmt, das nicht zu tun, ignoriert das Nacht-Ich diesen Befehl und verlangt nach Bitter-Süßem. Dann setze ich mich mit einer Rippe zum Computer und lege Karten. Wenn eine Runde gewonnen ist, hole ich mir eine zweite Rippe, nach der nächsten Runde die dritte. Bis mein Kopf auf die Tastatur sinkt und ich den Moment nutze, um ins Bett zu fliehen. Dann kann ich schlafen. Meistens um drei oder vier Uhr in der Früh, manchmal um fünf oder sechs. Mein Tagesrhythmus ist völlig aus dem Takt.

Heute ist es halb zwei, als ich zum ersten Mal auf die Uhr schaue. So kann das nicht weitergehen. Auch wenn im Café Central bis abends um sieben Frühstück serviert wird. Ich muss versuchen, die Herrschaft im Haus zurückzuerobern. Einen Putsch gegen die Herrschaften wagen, die mich zu einem Leben zwingen, das ich nicht länger leben will. Ich will vormittags in den Wald, nicht erst dann, wenn die Mittagssonne vom Himmel brüllt. Und ich will mich nicht jede Nacht davor fürchten, wie sie Stunde um Stunde länger wird und mir die Ideen ausgehen, was ich mit diesen Stunden anfangen könnte.

Ich stelle den Wecker auf acht und nehme mir vor, auf alle Fälle aufzustehen, egal wie müde ich bin. Wenn ich das ein paar Tage mache, müsste sich doch statt des Hungers nach Schokolade ein solcher nach Schlaf einstellen.

Ich schaffe es, schlaftrunken aus dem Bett zu kriechen – das erste Scharmützel um die Oberherrschaft im Hause Mayr ist gewonnen. Der Krieg aber noch nicht, wie sich am Nachmittag zeigt. Während sich der Kater auf meinem Bauch ins Mittagsschläfchen schnurrt, beamt es mich in die Welt der Träume, für satte vier Stunden. Den Hunger nach Schlaf kann ich mir für heute Abend abschminken. Aber morgen versuche ich es wieder. Und trickse mich aus. Am Nachmittag um vier ein Kaffee bei mir, mit Freundin. Rendezvous statt Mittagsschlaf.

Was nichts daran ändert, dass mich in der Nacht die Schokolade ruft. Ja nicht aufstehen!, gebiete ich mir und versuche mich davon zu überzeugen, dass ich dazu viel zu faul bin. Aber ich glaube mir die Propaganda nicht und stehe auf. Manner vernaschen.

Morgen versuchst du es wieder, sage ich mir, keine Meisterin ist vom Himmel gefallen. Hab Geduld und sei gnädig mit dir.

Die Rettung kommt in Form einer schlechten Nachricht. Sie haben mehrere Magengeschwüre, sagt Doktor Darminspektor und rät mir dringend, nie mit vollem Magen schlafen zu gehen.

Das ist ein Hammer, der sitzt. Ich fülle meinen knurrenden Magen am Abend mit warmem Wasser und stehe dreimal in der Nacht auf, um es wieder zu lassen. Diese eine Schlacht ist gewonnen, aber morgen geht der Krieg weiter. Um mich zu wappnen, rauche ich.

Doch auch diese Schlacht werde ich gewinnen. Irgendwann einmal.

© Christine Mayr 2021-08-19

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