Heute nicht
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Manche Tage sind wie Whisky-Schokolade. Im ersten Moment schmecken sie hart-bitter, im zweiten cremig-süß. Lässt man sie auf der Zunge zergehen, schmeicheln sie mit munter machender Schärfe.
Wegen meiner könnte jeder Tag ein Whiskyschokoladetag sein. Der Tag heute ist es nicht. Ich habe dem Teufel meine Seele verkauft.
Er hat mich auf dem Dorfplatz erwartet. Dort, wo man hingeht, um zu sehen und gesehen zu werden. Zieh dich schön an, halte dich gerade, sei freundlich zu den Klatschweibern am Brunnen, flüstert er mir zu und ich tue wie geheißen. Ich wähle mein Foto mit Bedacht aus, teile aufrechte Informationen über mich und beantworte Nachrichten mit lächelnden Emojis.
Denn Anerkennung braucht der Mensch, Lob und Liebe. Und ich brauche ganz viel davon. Ich schreibe mir die Finger hornhäutig und trage die Geschichten beim Dorfbrunnen vor. Einzelne Klatscher sind zu ernten. Ich will aber mehr, schreit es in mir, ich will viel mehr!
Geh in andere Dörfer, suche dir größere Plätze, finde dir eine Stadt, rät der Teufel. Putz dich heraus, klappere, was das Zeug hält. Im stillen Kämmerlein sitzen und mit dem Bleistift kritzeln, reicht nicht. Du musst hinaus, nach draußen, auf den Markt.
Ja!!, ruft die gierige Leere in mir begeistert. Anerkennung! Erfolg! Ruhm! Beklatscht, bejubelt, begehrt werden!
Je mehr ich mich anstrenge, je öfter ich poste und nach Fans Ausschau halte, desto bitterer wird es in mir. Der cremige Schokoladegenuss eine geschmolzene Erinnerung, die glitzernden Ideen der Muse matte Staubkörner. Meine Gedanken stümpern träge dahin, meine Mundwinkel ziehen nach unten, die Stirn legt sich aufs Runzeln fest. Kein Buch interessiert mich, keine Zeitung. Auf dem Klavier spielt nur die Katze. Während ich mich nackt fühle. Nackt in einer belebten Straße.
Ich will meine Whisky-Schokolade-Stimmung zurück, sage ich. Ich will sie wieder haben. Ich mag sie lieber als Anerkennung, Erfolg und Ruhm. Tausendmal lieber.
Nichts da, sagt der Teufel, wir haben einen Pakt geschlossen. Du hast deine Seele verkauft, jetzt gehört sie mir. Und er platziert das Notebook verführerisch auf dem Schreibtisch. Öffne mich, lockt es. Schau nach, ob dir jemand eine Nachricht geschickt hat, ein Foto kommentiert, eine Geschichte geliket. Öffne mich!
Später, sage ich. Morgen vielleicht. Oder überhaupt erst, wenn das Wochenende vorbei ist. Nur dann habe ich eine Chance, meine Seele zurückzukaufen. Nur dann, wenn ich dir widerstehe. Und sei es für einen Tag.
Ich versorge meine Pflanzen mit Dünger, zupfe trockene Blütenblätter ab, richte der Katze das Schüsselchen mit den Mittagsleckerlis und hoffe. Dass ich standhaft bleiben werde. Heute wenigstens. Wenigstens heute nicht auf den Marktplatz gehen, mich nicht unter die Klatschmeister mischen, nicht nach Blicken und Gesten gieren. Heute von der Schokolade naschen und hoffen, dass sie die gierende Leere füllt.
© Christine Mayr 2021-08-07
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