Kaffee im Schnee
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Schneeflocken tropfen schwer auf meine Hand, die den Becher hält, der Kopf wird vom hochgeklappten Kofferraumdeckel trockengehalten. Ich sitze im wasserresistenten Schafwollrock auf einer Decke, die über die Stoßstange hängt und habe alles in Greifnähe, was es für eine gemütliche Kaffeepause braucht. Die Thermoskanne mit dem Getränk, den Aschenbecher mit Schnappverschluss und das Sturmfeuerzeug.
Eigentlich wollte ich einen Spaziergang machen und habe mich entsprechend adjustiert – mit Pommelmütze, Schal und lammgefütterten Stiefeln. Aber bis der schwere Schnee vom Auto geschoben und die Sicht freigekehrt war, ist mir die Kälte in Hände und Oberschenkel gekrochen und ich war mir nicht mehr sicher. Ich startete trotzdem, fuhr vom nassschwarzen Stadtasphalt über die schmutziggraue Landstraße hinauf ins Mittelgebirge. Auf der Höhe des Schlossparks verschluckte ein zarter Nebel Bäume, Wiesen und Schloss und ich entschied, auf das Gehen zu verzichten. Wird ja ohnehin überschätzt, die Bewegung an der frischen Luft. Das kann man trennen, dachte ich mir; die frische Luft beim Kaffee, die Bewegung zuhause. Mein Repertoire an Gymnastik- und Yogaübungen reicht ja mittlerweile weit über das Rollen eines Fascienballs hinaus, das ich – wie manche von euch wissen – meinem Kater abendlich als Beilage zu seinem Futter serviere.
Oberhalb des Nebels ist der Winter winterlicher als unterhalb und ich parke – ausnahmsweise legal – auf dem Parkplatz des Sees. Den hat zwar noch kein Schneepflug aufgesucht, aber zwanzig Zentimeter Winterbelag schafft das Profil meiner Autoreifen locker.
Der Kofferraum meines kleinen Kombi ist in der Saison zwischen Oktober und April für alle Bewegung-in-der-frischen-Luft-Eventualitäten gerüstet: rustikale Schuhe für Winterwegwanderungen, Stöcke für Tage mit zittrigen Beinen, der Norwegerrock mit Reißverschluss als Schutz vor Oberschenkelfrost, gefütterte Fäustlinge.
Doch heute bleibe ich sitzen. An der Kofferraumkante, mit warmem Popsch und kalten Händen, und nehme den ersten Schluck Kaffee. Die Landschaft hat außer Weiß auch silberne Strommasten zu bieten. Unter deren Leitungen tanke ich Energie für die Geschichte, die ich heute zu Ende bringen möchte und eine Frau geht vorbei. „Gemütlich schaut das aus“, sagt sie. „Ist es auch“, sage ich und zünde mir eine Zigarette an. Die schmeckt vorzüglich rau zum Kaffeebitter auf meinem Gaumen.
© Christine Mayr 2022-02-28
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