Kriegslist
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Zu jener Zeit, als die Schildbürgerinnen noch keine Närrinnen waren und ihre Weisheit in aller Welt gefragt war, hatte die Älteste von ihnen eine vorausschauende Idee. Das Gold, das die klugen Bürgerinnen mit ihren teuren Ratschlägen verdienten, sollte in einem Eichenfass der Ochsenwirtin gelagert werden. Dort würde es der Steuereintreiber nicht suchen und folglich auch nicht finden. Die Bürgerinnen beherzigten diesen klugen Rat und setzten ihr Leben auf die gewohnte Weise fort.
Eines Tages jedoch gefiel es dem Kaiser, Krieg zu spielen. Da sich die gegnerischen Recken nicht nur mit Zähnen und Klauen, sondern auch mit Heugabeln und Sicheln gegen die kaiserlichen Truppen wehrten, setzte der Kaiser Kanonen und Schießpulver ein. Da ersannen die Bedrängten eine List, die einer Schildbürgerin würdig gewesen wäre. Sie legten den See trocken, in dem die Perlen für den Schaumwein wuchsen und würgten die Zapfhähne der Wirtinnen, bis dem Bier der Schaum wegblieb.
„Was sollen wir nur tun?“, jammerte die Ochsenwirtin, die sich gezwungen gesehen hatte, ihren Gästinnen reinen Wein einzuschenken. Die durstigen Schildbürgerinnen, die es gewohnt waren, die Perlen aus ihrem Schaumwein zu fischen, bevor sie die Gläser leerten, waren ebenso ratlos wie die Schildbürger, die ihre Biere nicht trinken konnten, ohne vorher den Schaum aus den Krügen zu pusten. Alle rieben sie ihre Nasen von allen Seiten und nach langem Reiben hatte die Wirtin eine Idee. „Ich hab’s!“, rief sie. „Wir öffnen unser Fass mit dem Gold und kaufen alle Vorräte an Perlen und Schaum auf, die es noch gibt.“
Gesagt, getan. Die Schildbürgerinnen tauschten ihr Gold gegen Perlen und Schaum und vergaßen, dass der Kaiser irgendwo Krieg spielte. Doch als sie die Fässer öffneten, war der Schaum zusammengefallen und die Perlen hatten ihren Glanz verloren. Da war der Jammer groß und entmutigt von ihrem missglückten Hamsterkauf verließen die Klügeren der Närrinnen die Stadt, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Nur die alten Narren und die jungen Kindsköpfe blieben. So kam die Not in das Städtchen.
Die verbliebenen Schildbürgerinnen löffelten eben die dünne Suppe, die der Ochsenwirt aus dem Schwanz seines letzten Ochsen gekocht hatte, als der Schulmeister zu ihnen in die Stube trat. „Ihr müsst euch nicht grämen“, sagte er. „Der Wein, der mir unter dem schiefen Turm gereicht wurde, kam ganz ohne Perlen aus. Ihr gebt einfach vor, ich hätte ein Fass herbeigekarrt und offeriert den Durchreisenden Wein aus Pisa.“ Die Augen der Ochsenwirtin blitzten und sie erfand gleich noch die Mär dazu, der Schulmeister hätte auf seiner Heimreise von Pisa einen Umweg über Queenland gemacht und von dort das köstliche schaumfreie Bier mitgebracht.
Die Fahrenden labten sich an den famosen Getränken, bezahlten das Dutzendfache dessen, was Schildas Wein und Bier gekostet hatte und nach sieben mal sieben Jahren war die Not besiegt.
© Christine Mayr 2022-08-22
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