Kurzurlaub
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Der Strand singt, während ich mit nackten Sohlen über seinen feinen weißen Sand spaziere. Helltürkis liegt das Meer vor mir und ich lasse seine sanften Wellen meine Füße umspielen. Die Sonne steht tief und taucht die Stämme der Pinien in glühendes Abendrot. Am Anfang der Bucht, dort wo der Waldweg auf den singenden Sand trifft, steht ein Eiswagen. Kinder betteln ihre Papas um eine letzte Eiskugel vor dem Heimgehen. Einer spielt mit seinem Hund Frisbee. Ein Pärchen schmust im nackten Sand, wir bevorzugen dafür das Badetuch, das wir am Morgen in Follonica gekauft haben.
Am Vortag waren wir in Populonia und haben unsere Zehen in den schwarz gefleckten Kieselteppich gegraben. „Schlackeüberreste aus der Zeit des Eisenabbaus“ hat mir mein Mann erklärt und ich habe mich im archäologischen Museum in eine etruskische Statuette verliebt. Sie steht jetzt vor mir, einen Bleistift groß und fast so schmal, die Hände an die Hüften gelegt. Den Oberkörper leicht gebeugt, als ob sie sich vor den Jahrtausenden verneigen würde, die sie und mich trennen. Ich umfasse mit Daumen und Zeigefinger ihre schlanke Taille und spüre das Stechen der Mittagssonne über den Ausgrabungen der Totenstadt. „Du solltest dir einen Strohhut zulegen“, sagt mein Mann und fährt uns nach Piombino. Die Hitze ist groß, der Schatten der Bäume in der Osteria auch. Einen Hut finden wir später, nach insalata mista und Ciabatta. Mein Mann sitzt glücklich vor seinem Eisbecher Elba und ich bin es auch. Die Eiswürfel meines caffè freddo klimpern im Glas, italienischer Singsang erklingt an den Nebentischen und die Aussicht auf ein bisschen sesso am Abend ist schön.
Ich klicke weiter. Gavorrano. Da wohnen wir. Eine Maisonette mitten im Ort. Der der steilen Hügelflanke abgerungen wurde, zu einer Zeit, als die Maremma noch Sumpfgebiet war und arm. Reich ist das Örtchen auch heute nicht. Vor bröckelnden Fassaden zieren Blumentöpfe mit üppiger Blütenvielfalt steinerne Treppenaufgänge, auf der Piazza sitzen Männer hemdsärmlig an Tischen aus verwittertem Plastik und trinken ihren Morellino. Ab und zu sagt einer etwas.
Bei Tortelli Maremmani planen wir den nächsten Tag. Pitigliano oder Saturnia? Tuffsteinstädtchen oder Schwefelbad? Beides, entscheiden wir. Und dann wandern wir noch durch die Ausgrabungen von Roselle, meinen, das Rattern römischer Wagen auf Pflastersteinen zu hören und streichen mit unseren Händen über Zyklopenmauern.
Heiß ist es. Meine Finger hinterlassen feuchte Spuren auf der Tastatur und die Maus glänzt nass. Es wird Zeit, meine Hände unter kaltem Wasser zu kühlen. Nur einmal noch über den singenden Sand der Geigenbucht gehen, noch einmal ins klare Meer tauchen. Dann ist der Urlaub zu Ende. Ich schließe alle Fenster, die mir das weltweite Netz geöffnet hat und klappe meinen Laptop zu.
© Christine Mayr 2022-03-03
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