Meine Freundin, die Z.
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Sie ist wirklich eine Gute. Immer da, wenn ich sie brauche, nie beleidigt, wenn ich einmal auf sie vergesse. Wann immer ich sie rufe, egal ob spät in der Nacht oder früh am Morgen – auf sie ist Verlass. Auch dann, wenn sonst niemand mit mir zu tun haben will - sie leistet mir Gesellschaft.
Wir kennen uns, seit ich siebzehn war. Es war keine Freundschaft auf den ersten Blick. Es dauerte Monate, bis ich mich an sie gewöhnte. Ihre Sorglosigkeit, ihre Unbekümmertheit, ihre ständige Verfügbarkeit. Lange Zeit erzählte ich niemandem, dass wir einander trafen – heimlich, auf Bänken abseits der bevölkerten Wege.
Als wir uns das erste Mal gemeinsam unter Menschen zeigten, hieß es, die tut dir nicht gut, die passt nicht zu dir. Das ist eine falsche Schlange. Sie heuchelt dir vor, für dich da zu sein, aber in Wahrheit will sie dir nur schaden.
Was meine Treue zu ihr nicht schmälerte; im Gegenteil. Je mehr Ablehnung sie erfuhr, desto öfter trafen wir uns. Genossen unsere Zweisamkeit, die verbotene, geschmähte, für gefährlich erklärte.
Erst als ich längt verheiratet war, Kinder hatte und einen Beruf, begann ich nachzudenken. Vielleicht war an den Warnungen und Gefahrenszenarien ja doch etwas dran? Denn manchmal, wenn sich der Nebel vor meinem Blick hob, sah ich, dass mir die Treffen mit ihr nicht guttaten. Dass es mir nachgerade schlecht ging, wenn ich sie zu oft getroffen hatte. Sie hatte etwas Distanzloses, Übergriffiges. Sie konnte nie ein Nein-heute-mag-ich-nicht akzeptieren. Schlug meine Lustlosigkeit in den Wind, sagte, komm, wir kennen uns jetzt schon so lange, da wirst du doch nicht plötzlich … Ich bin und bleibe deine Freundin. Du kannst mir nicht davonlaufen. Immer war ich für dich da, das kannst du mir nicht antun.
Ich tat es dann doch. Ich konnte sie nicht mehr ertragen, ihre ständige Präsenz, ihr Zwischen-uns-passt-kein-Blatt-Papier. Ich nahm alle Willenskraft zusammen und sagte, ich will dich nie mehr sehen, nie mehr. Lieber gehe ich in den Wald und schreie, als mir weiterhin deine Scheinheiligkeit anzutun.
Es gelang. Irgendwann gab sie auf, mich täglich an sie zu erinnern. Irgendwann vergaß ich sie.
Bis zu jenem Faschingsdienstag, an dem sie plötzlich neben mir auftauchte. Elegant, verlockend duftend, in der Hand des Mannes am Biertresen. Schau, sagte sie, verschwörerisch blinzelnd, ist doch schön, einander wieder zu sehen. Ein bisschen in alten Zeiten stöbern kann nicht schaden. Wir hatten doch viele gute Momente miteinander.
Da konnte ich nicht widerstehen. Einmal, dachte ich, einmal ist keinmal. Komm her, sagte ich, komm näher, lass sehen, was aus dir geworden ist.
Und ich nahm sie aus der Hand des Mannes, der neben mir saß. Ihre Gestalt wie eh: schmal, weiß und unschuldig. Ich nahm einen Zug, spürte einen angenehmen, vertrauten Schwindel, schloss die Augen und sagte, wie schön, Z., dich wieder zu haben. Ich habe mich ohne dich so einsam gefühlt.
© Christine Mayr 2020-02-27
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