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Nur zum Beispiel

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Nur zum Beispiel | story.one

Es macht mich jedes Mal wieder fassungslos. Heute zum hochgerechnet sechstausendzweihunderteinundfĂŒnfzigsten Mal.

Nach dem ersten Mal, vor 25 Jahren, trĂ€umten wir an einem MĂ€delsabend davon, mit Leiter und Klebefolie auszurĂŒcken, um den MĂ€nnchen Röckchen anzuziehen oder sie mit weiblich anmutenden Accessoires zu ĂŒberkleben. Wir hatten unseren Spaß beim TrĂ€umen, stellten uns die baffen Gesichter vor, wenn auf dem Rot und GrĂŒn der FußgĂ€ngerampeln plötzlich FußgĂ€ngerinnen standen oder gingen.

Die Verwirklichung unserer TrĂ€umereien scheiterte an den braven MĂ€dchen in uns. Die Reaktionen konnten wir uns aber sowieso lebhaft vorstellen. „Habt ihr Frauen keine anderen Probleme, als euch ĂŒber AmpelmĂ€nnchen aufzuregen?“, hĂ€tte es geheißen. „Doch“, hĂ€tten wir geantwortet, „und zwar nicht zu knapp“. Mehr hackeln als ihr und dafĂŒr weniger verdienen. Rabenmutter-VorwĂŒrfe bekommen, wenn wir unsere Kleinen in die Krippe bringen, bloß um ein paar Stunden am Tag unsere Köpfe zu benutzen anstatt Grießbrei zu kochen oder Legosteine wegzurĂ€umen. Nur zum Beispiel.

Da ist das Ampelproblem dagegen wirklich kein Problem. Vor allem, weil es so schnell und sooo einfach zu lösen wĂ€re. Wenn man denn wollte. Die HĂ€lfte der Ampeln mit Weibchen in Rot und GrĂŒn, die andere HĂ€lfte mit MĂ€nnchen. Ein Mal in Auftrag gegeben, kein Mal mehr Fassungslosigkeit bei meinen Freundinnen und mir.

Umgekehrt nĂ€mlich – und da wette ich meine ganze Sammlung an MĂ€nner-können-das-besser-Geschichten und meinen ganzen Schatz an Frauen-können-es-mindestens-so-gut-Erfahrungen darauf – wĂŒrde es keine Woche dauern, bis der erste Mann auf die Barrikaden ginge, wĂ€ren alle FußgĂ€ngerampeln mit FußgĂ€ngerinnen bestĂŒckt.

So wie mein Onkel E die Krise kriegte, als ihn ein Arzt als Krankenschwester bezeichnete und mein Cousin B auszuckte, als ihm einer Hebamme nachrief. Da waren mir nix, dir nix die Wörter Krankenpfleger und Geburtshelfer erfunden. Da sagte keiner, ich habe andere Probleme. Hauptsache, ich kann dem Wohl des kranken oder gebÀrenden Volkes dienen.

So wĂ€re es auch mit Ampelweibchen. Die hĂ€tten schneller Hosen an, als die Ampel von Rot auf GrĂŒn schalten kann. Dabei wĂ€re es so einfach. Quer‘ doch nur einmal die Straße vor dem Sillpark, nur zum Beispiel. Da tragen die Ampelmenschchen Rucksack und Wanderstock. Weil: Sportstadt Innsbruck. Klarerweise, nicht ĂŒberraschend, ja quasi natĂŒrlich: Wanderer. Weil: Innsbruck keine Stadt der Frauen.

NatĂŒrlich nicht die einzige, sondern in bester Gesellschaft, von – nur zum Beispiel - Dresden. Auch dort auf allen Ampeln die ĂŒblichen MĂ€nnchen, nur auf einer nicht. Auf der einen, an der ich als Stadt-Touristin tĂ€glich vorbeikam. Auf der einen, die aus DDR-Zeiten ĂŒbriggelassen worden war. Erinnerungskultur sozusagen. An eine Stadt der MĂ€nner und Frauen.

© Christine Mayr 2022-03-03

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