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#operimfreien

Opern Air

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Opern Air | story.one

Die vier haben heute ziemlich zu tun. Sie müssen sich mit aller Kraft gegen den Wind stemmen und die Blätter am Pult halten. Nicht dass dem Dirigenten die Noten davonfliegen! Die Kolleginnen im Orchester haben es leichter. Ihr Arbeitsplatz ist windgeschützt, über ihnen wölbt sich das Dach des Pavillons. „Wieder einmal wir“, murrt die links oben. „Ja, immer trifft es die Tüchtigen“, stimmt ihr Rechtsoben zu. „Aber die Musiker haben’s noch schwerer“, mischt sich Linksaußen ein. „Die sehen die Noten ja gar nicht, weil die Sonne derart blendet. Die steht heute so tief, dass sogar noch die Posaunen hinten die Augen zusammenkneifen müssen.“ „Dem Cello rinnen schon die Tränen über die Wangen“, meldet sich auch Rechtsaußen zu Wort. „Das wird noch bis zum dritten Akt so gehen“, schätzt Linksoben. „Die Sonne geht ja verdammt spät unter, jetzt im Juni.“

Auf der Bühne beginnt das Singen. Der Wind trägt die Töne in die hintersten Zuschauerreihen und weht dem Tenor die Krawatte ins Gesicht. Er stopft sie beherzt in sein Hemd und wendet sich seiner Duettpartnerin zu. Als er seine Lippen zum hohen C öffnet, ergreift eine Böe ihre offenen Haare und weht ihm eine Strähne in den Mund. „Hoffentlich hat sie sich die Haare gewaschen“, kichert Linksoben. „Das braucht sie nicht, sie wird am Ende eh im See versenkt“, entgegnet Rechtsaußen. „Echt jetzt?“ - „Ja, ich habe bei der Probe Dienst gehabt, da habe ich’s gesehen. Die Carmen wird nicht erstochen oder erwürgt, sondern ertränkt.“ - „Nicht wirklich, oder?“ - „Doch. Sie verschwindet im Wasser. Unter ihrem Kleid hat sie eine Art Minisauerstoffgerät. Nachher steht sie triefend nass auf der Bühne.“ - „Das verstehe ich nicht. Sängerinnen müssen doch auf ihre Stimme aufpassen.“ - „Ach, die sind jung, die halten das schon aus“, sagt Rechtsaußen, die Dienstälteste der vier.

„Als ob die normale Singerei nicht schon anstrengend genug wäre“, ergreift Linksaußen noch einmal das Wort. „Dann schwitzen die Sänger wie’d Sau und du musst das Triefgesicht auch noch küssen. Igitt!“ - „Also ich möcht mit keinem von denen tauschen“, sinniert Rechtsoben. „Da singen sie sich die Seele aus dem Leib und müssen bei der Hitze Weste und Sakko tragen. Und dann auch noch lang und qualvoll sterben.“ - „Dafür werden sie dann beklatscht und bejubelt.“ - „Oder ausgebuht.“ - „Oder ausgebuht. Kann passieren. So oder so müssen sie nach dem Rampenlicht in ein einsames Hotelzimmer. Zuerst der ganze Trubel, dann plötzlich nichts mehr. Niente, nulla.“ - „Kein Wunder, dass sich manche den Bauch vollschlagen …“ - „… und beim nächsten Auftritt nicht mehr ins Kostüm passen.“ - „Da ich bin lieber eine Wäscheklammer und liege nach der Vorstellung mit euch im Korb.“

© Christine Mayr 2021-07-18

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