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Postnatale Depression

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Postnatale Depression | story.one

Für meine jüngste Geschichte habe ich mich wirklich ins Zeug gelegt. Sie sollte kein Erlebnisaufsatz werden, sondern eine, die ihren Namen verdient. Und der etwas längeren Art.

In kurzen Texten – wie für hier, wo eine Seite und 2.500 Zeichen als Maximum vorgegeben sind – bin ich geübt. Dreißig Jahre Berufserfahrung in Kürzesttexten haben mich und meinen Stil geprägt. Da kommt es schon vor, dass ein Geschichtchen nur so flutscht, aus dem Kopf in den Bleistift auf die Tastatur.

Dieses Mal wollte ich mehr. Mehr Text, mehr literarischen Anspruch. Die Erzählung sollte für einen Wettbewerb tauglich sein. Deshalb habe ich all mein Wissen über das Stricken und Formulieren von Geschichten ausgegraben – ich habe ja nicht nur Germanistik studiert, sondern auch viele Fortbildungen zu unterschiedlichsten Textsorten absolviert – und Neues versucht.

Redundanz zum Beispiel. Also mehr erzählen als unbedingt nötig. „Kein Wort zu viel“, das einstige Lob eines Kollegen, muss ja nicht für immer gelten. Oder vom „ich“ wegkommen und eine Figur erfinden. Was treibt sie an? Wohin will sie? Was ist ihr Ziel? Oder: Keinen Problemaufsatz schreiben, sondern Handlungen einbauen. Fakten recherchieren. (Ach wie schön, dass es das virtuelle Spinnennetz gibt, in dem sich oft brauchbare Informationen verfangen!) Das Strickmuster entwerfen: Wann erzähle ich was? Wo baue ich dezente Hinweise ein, die Spannung erzeugen und bei der Leserin den Wunsch wecken weiterzulesen?

Ich war einige Tage und viele Stunden beschäftigt. Zuerst schrieb ich rohe Blöcke, dann fügte ich sie zusammen. Glättete die Verbindungsfurchen und zum Schluss, gestern Abend, ging ich noch mit feinem Schleifpapier drüber.

Am Ende war ich zufrieden. Nein. Begeistert. Das Baby, das ich da aus mir herausgepresst hatte, gefiel mir. Sehr. Ich las es zu meinem abendlichen Vergnügen noch dreimal durch und spendierte der Muse den Dankeduft einer besonderen Zigarette. Es ist keine leichte Geburt gewesen. Nicht gerade eine Steißgeburt, aber von Flutschen kann ich nicht sprechen. Ich wiegte das Baby und ging schlafen. Glücklich. Bis heute Früh.

Jetzt sitze ich in Innsbrucks Altstadt, im Café meines Vertrauens, und habe ein Herz wie Frau Hitt. Steinern und schwer.

Da ist kein Vater, dem ich das Baby ans Herz legen könnte, keine Familie, die stolz zur Willkommensfeier ruft, keine Taufpatin, die sich darum kümmern wird, dass es dem Baby wohlergehen möge in dieser Welt.

Da sind nur drei Blätter Papier, die womöglich einer anschaut und sagt, das ist ja ein Elefantenmensch. Versteck dieses Kind unter einer Maske oder hinter einem Schleier. Komm nur ja nicht auf die Idee, es stolz der Welt zu präsentieren.

Ari Riyanto on Unsplash

© Christine Mayr 2021-08-13

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