Pradler Kellersturz
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Mein Gesicht lag im Dreck, die Zunge atmete Staub und durch den linken Arbeitshandschuh sickerte Blut.
Ich hatte es mir leicht machen wollen, dieses verhasste Reifen-in-den-Keller-Zankern. Jedes halbe Jahr wieder. Klar hätte ich einen Nachbarn fragen können, oder den Fast-Schwiegersohn. Aber die haben ja immer nur Zeit, wenn sie gerade Zeit haben. Da muss man warten, sich nach ihnen richten. Und danken. Und sich fragen, reicht ein Bierchen oder muss es ein Sechserpack sein? Eine Einladung zum Kaffee oder herzlich danke sagen?
War mir alles zu hart. Das schaff ich schon, sagte ich mir und machte es mir leicht. Ich ließ die Reifen die Kellertreppe hinunterkullern. Mit welcher Wucht die das taten, hatte ich mir nicht ausgerechnet. Vermutlich gibt es da eine physikalische Formel. Gewicht mal Geschwindigkeit mal Weglänge. Oder etwas Ähnliches.
Unten am Fuß der Treppe die Brandschutztür. Ich gebe zu: Das Poltern der biestigen Gummiteile gegen das dicke Metall, dessen Ächzen, die unsonntägliche Lautstärke – ich genoss es. EINmal laut sein. Einmal rücksichtslos. Einmal berseken, viehen, toben. Die Autoreifen als perfekte Stellvertreter. Nur dass sie sich am Treppenende verkeilten. Alle Wucht hatte nicht ausgereicht, um die Tür aufzudrücken. Ich tänzelte auf der Stufe oberhalb des Reifenbergs und streckte mich nach der Klinke. Wenn die Tür aufging, würden die Reifenbiester in den Keller sausen und ich bräuchte sie nur mehr die zehn Meter bis zu meinem Abteil tragen. Oder rollen.
Nur dass die Tür ums Verrecken nicht aufwollte. Die Klinke war mit den Reifen verkeilt und machte keinen Nackler. Ich fluchte laut und innig und versuchte mit aller Kraft, die renitenten Biester aus ihrer Erstarrung zu zerren, ihre massige Einigkeit zu spalten. Wenn ich nur einen, einen einzigen, herauslösen könnte, würde die Phalanx brechen. Doch sie blieben ungerührt verklemmt. Ich rief meine ganze Wut zu Hilfe, zerrte und schob, schrie sie an, die schwarzen Monster – und auf einmal gab etwas nach. Ein Reifen, die Tür, der nächste Reifen und ich verlor die Balance, machte mit den Ungetümen einen Salto über die Treppenstufen und schlug auf dem Kellerboden auf. Der vierte Reifen plumpste mit seinem Elefantengewicht auf meine linke Hand.
Nun schrie ich vor Schmerz. Laut und auch Hilfe!, aber niemand kam. Hat das jetzt sein müssen?, fragte ich den Kellerboden und bewegte vorsichtig Beine und Arme. Nicht kaputt. Ich nahm meine Wange aus dem Dreck und sah nach meiner Brille. Auch ganz. Das Blut im Handschuh. Nicht schlimm. Ich rappelte mich auf und bilanzierte. Ich hätte mir an der Metallleiste unterhalb der letzten Stufe das Schienbein aufschlagen können. Ich hätte mir beim Salto das Genick brechen können. Die Metallfelge hätte mir die Handknochen zertrümmern können.
Ich hätte die Reifen beim Händler einlagern können.
Das habe ich heute getan.
© Christine Mayr 2020-08-15
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