Rache ist picksüß
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Das Löffelchen blieb einfach an mir picken. Da konnte ich gar nichts machen. Erst zuhause ließ es mich los und rutschte geschmeidig in die Löffellade. Es hatte mir zu meinem Kaffeeglück gerade noch gefehlt.
Für alle Gelegenheiten habe ich Löffel vorrätig, wie sich das in einem mitteleuropäischen Mittelstandshaushalt so gehört. Für Suppen, die ich mir eingebrockt und Tees, die ich mir aufgegossen habe. Nur für die Fingerhütchen voll Kaffee, wie ich sie liebe, sind alle meine Löffel zu groß. Was vollkommen irrelevant ist, denn ich trinke ihn ohnehin bitterschwarz.
Doch gestern hat mich der Teufel geritten. Als ich plötzlich verstand, was er mit „komplex“ gemeint hat. Der Verkäufer mit dem Bäckereihütchen, unter dem er höchst harmlos aussah. Süß geradezu. Glatte Wangenhaut, gekringelte Dunkellocken, flinke Augen. Ich hatte eine Semmel zum Mitnehmen und einen Espresso zum Datrinken geordert. Ob er sonst noch etwas für mich tun könne, fragte er, der harmlos Süße, ganz gelernte Servicekraft. Ich dachte einen Moment nach. „Also wenn Sie mich so fragen … ja. Sie könnten einen Tisch für mich trockenwischen.“
Nach dem Regen hatte die Sonne nämlich noch nicht genug Zeit gehabt, um die Pfützen wegzudampfen. Und bei aller Liebe zu Freiluftkonsumationen, mein Tablett stelle ich doch lieber auf eine Tisch- als auf eine Seenplatte. „Wenn die Bestellung etwas komplexer wäre, könnten wir darüber reden“, sagte Herr Gar-nicht-mehr-Süß. „Nein, komplexer wird sie nicht“, sagte ich und plötzlich verlor das Wort seine Unschuld.
Ich bezahlte, wischte mir ein tablettgroßes Stück des Tisches mit der Serviette trocken, auf der das Keks mit dem Logo der Bäckerei lag und aß es. Hatte der Typ das wirklich so gesagt? Und so gemeint, wie es mir jetzt auf einmal erschien? Mit diesem Unterton einer klaren Botschaft: Bei mir sind die Kundinnen nicht Königinnen und Extraservice ist mit umfangreichen Bestellungen zu erkaufen.
Hatte er. Daran bestand kein Zweifel. Ich verschluckte mich am Keks. Hätte es doch dem Spatz überlassen sollen, der in der Pfütze neben der Kaffeetasse seinen Durst stillte.
Ich rührte mit dem kleinen Löffel in der kleinen Tasse, um mich zu beruhigen und um meinen Fingern etwas zu tun zu geben, nachdem ich die Zigarette, die auf das Keks gefolgt war, ausgedrückt hatte. Da klebte er plötzlich an meinem langen Finger, der Löffel. So sehr ich mich auch wehrte und etwas von Moral und das-tut-man-nicht und Diebstahl faselte, er ließ nicht locker. Nimm mich mit, sagte er. Ich bereichere bestimmt dein Löffelsortiment. Ich brauche dich doch gar nicht, versuchte ich noch. Ich komme bestens ohne Espressolöffelchen aus. Du irrst dich, sagte er. Wenn du mich einmal gewöhnt bist, wirst du dich fragen, wie du es bisher ohne mich geschafft hast.
Wie Recht es hatte, das Löffelchen. Ich löffle jetzt Zucker in mein bitteres Schwarz und trinke es picksüß. Wie konnte ich mir nur all die Jahre diesen Genuss versagen?
Foto: Anna Kumpan
© Christine Mayr 2022-10-30
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