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Schau, so geht das

  • 45

„Da willst du mich hinunterjagen?!“

Vor mir lagen mindestens hundert Meter Abfahrt mit mindestens fünf Prozent Neigung. „Flach war ausgemacht, eine flache Runde!“ Meine Freundin schaute komisch. „Ähm …“, sagte sie, „das ist doch …“ Bisher hatte ich bei jeder Abschüssigkeit einer Loipe die Schi ausgezogen und sie den Berg hinuntergetragen. Das würde ich auch jetzt tun. Und ich rammte einen Stock in die Bindung-öffnen-Kerbe. „Das ist nicht dein Ernst?!“ Meine Freundin machte Augen groß wie Teller. „Schau, so geht das.“

Sie setzte den rechten Schi in seine Spur und winkelte den linken mit 45 Grad dazu. „Mit dem regulierst du das Tempo. Das ist wie beim Schneepflugfahren.“ Und weg war sie. Dass sie gebremst hätte, wäre mir nicht aufgefallen. Dann kann es ja nicht so schwer sein. Alpin können meine Beine das ja auch. Nur dass man dort keine Zahnstocher an den Schuhen hat, sondern echte Bretter.

Ich stellte das rechte Brettl in die Spur und setzte mit dem linken zum Stemmbogen an. Schon glitt der Fahrschi in Fahrt, der Bremsschi bremste und schon lag ich da. Beine und Schi zu einer Breze verknotet und ein Megastechen in der Hand. „Geht’s?“ rief meine Freundin vom Fuß des langen Bergs zu mir herauf und natürlich winkte ich Ja. Aber als ich Schi und Knie in ihre natürliche Ordnung gebracht hatte und aufstehen wollte, wurde mir schlecht. Meine Freundin trettelte zu mir, schulterte meine Schi und kutschierte mich in die Unfallambulanz. Ein Röntgenbild und eine Diagnose später – gebrochener Mittelhandknochen – war meine Hand in Gips und ich zuhause.

Das war der Beginn eines wunderbaren Advents.

Kekse backen? Leider nein. Geschenke verpacken? Sorry, is nich. Weihnachtsputz? Wenn euch der Dreck stört – der Staubsauger arbeitet auch mit Männern zusammen und Fetzen und Kübel sind jugendfrei. Hunger? Wozu wurden Iglo und Bofrost erfunden? Ich ging spazieren, sah dem See beim Zufrieren zu und lag auf der Couch, ein Buch in der Hand und die Katze auf dem Bauch.

Ein paar Tage vor Weihnachten schaute die Unfallfreundin vorbei, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. „Prächtig“, sagte ich. „So einen gechillten Advent habe ich noch nie gehabt. Und du? Geht’s?“ „Kannst dir vorstellen!“, sagte sie. „Ich habe erst fünf Sorten Kekse gebacken, die Fenster sind noch nicht geputzt und ich habe keine Ahnung, was ich an den Feiertagen kochen soll. Der Alte motzt, weil er den Christbaum aufstellen muss und ich keife die ganze Zeit, weil er eine faule Sau ist. Alles muss ich … Ich weiß nicht, wie das gehen soll.“

„Ja, ich weiß“, sagte ich und erinnerte mich an all die Adventsonntage, an denen ich die Schwiegereltern zum besinnlichen Beisammensein da hatte und mich besinnungslos betrinken musste, um meine blank liegenden Nerven zu betäuben. Ich lehnte mich in meinem Ohrensessel zurück und legte die Füße auf das Couchtischchen. „Schau“, sagte ich und klopfte entspannt auf meine Gipshand. „So geht das.“

© Christine Mayr 2022-02-25

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