Schwarz-Weiß-Malerei
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Mein Mann war strikt dagegen. Nein, mehr noch. Er hielt mich für total meschugge. Eine Wand mit Schultafelfarbe lackieren, damit ich Notizen darauf kritzeln kann? „Haben dir zwölf lange Jahre Schule nicht gereicht?“, fragte er gereizt. Ihm schossen wohl schlechte Erinnerungen durch den Kopf. An undurchschaubare Rechtschreibregeln oder kryptische Gleichungen mit x Variablen. „Wegen meiner sollten gute Sachen nie enden“, sagte ich. Er zeigte mir den Vogel und verkrümelte sich.
Ich war frei zu tun, wonach mir der Sinn stand. Schließlich ging es um eine Wand in meinem Arbeitszimmer, nicht in seinem. Außerdem war der Lack nicht schulzeitgrün, sondern designergeschmackschwarz. Ich deckte den Boden mit Folie ab und kennzeichnete das Rechteck, das meine Tafel werden sollte. Nur ein einziger Quadratmeter. Von einer ganzen Wand war nicht die Rede. Bevor ich zu Farbe und Rolle griff, zupfte ich mir ein Paar Latexhandschuhe aus der Box und erinnerte mich. Die saugen sich an den Fingern fest, Saugnäpfe nichts dagegen. Sie nach getaner Lackiererei ausziehen ein unsympathischer Kraftakt. Diese Erfahrung habe ich beim Auffrischen der Badezimmertür gemacht. „Es gibt gepuderte Gummihandschuhe“, hatte mich der Mann damals belehrt. Eine Lehre, die mir erst in ferner Zukunft von Nutzen sein wird. Wenn die Großpackung der Einwegdinger aufgebraucht sein wird. In Ermangelung eines Pudervorrats kam mir die Idee, es mit Kreide zu versuchen. Ich holte ein Stück Tafelkreide aus der Schreibtisch- und die Muskatreibe aus der Bestecklade und rieb. Kreide zu Pulver, ein ganzes Schüsselchen voll. Dann puderte ich meine Hände mit Kreideweiß und schlüpfte ins Latex. Ich trug das Schwarz satt auf der Mauer auf und zog nach getaner Arbeit die Handschuhe mühelos aus.
„Magst schauen?“, fragte ich den bockenden Mann nachher und erntete ein entschiedenes Nein-Kopfschütteln. „Lass mich zufrieden mit deiner Schulmeisterei. Dein Tafel- und Kreide-Fetischismus interessiert mich Nüsse.“ Genoss ich also allein die Vorfreude auf Tafelkritzeleien und legte mich schlafen.
Am Morgen ging ich als erstes hinüber in mein neu gestaltetes Arbeitszimmer, um mein Werk zu bewundern. Auf dem Weg Kreidespuren, der ganze Boden voll. Das Schüsselchen halb leer. Hatte mein Stubentiger von der Kreide gefressen? Die Tapper auf der weiß gepuderten Bodenfläche ließen so etwas ahnen. Schuldbewusst gestand ich mir ein, dass ich die Malutensilien nicht weggeräumt hatte und fragte mich bangend, was einer Katze passiert, wenn sie Kreide frisst. Sie ist ja kein Wolf, der über märchenhafte Erfahrung mit dem Fressen von Kreide verfügt. Ich wollte sie befragen, aber sie war nicht auffindbar. Dafür fand ich etwas anders. Eine Nachricht auf meiner matt im Morgenlicht glänzenden Schultafel. „Du bist die beste Handwerkerin meines Lebens. Q.e.d.“ Daneben grinste eine Sonne.
„Du hast also Kreide gefressen“, weckte ich den Mann und gab ihm einen Kuss.
Foto: Noita Digital
© Christine Mayr 2022-11-05
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