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Sprechen Sie einen Befehl aus!

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Sprechen Sie einen Befehl aus! | story.one

In Wahlkämpfen war es üblich, Pkws anzumieten, um sie als Werbeträger einzusetzen. Mit Konterfei des Spitzenkandidaten und Slogan beklebt, fuhren und standen sie im Land herum und riefen „Wähl uns!“ 2013 entschieden wir uns für einen Cinquecento. Italienische Verhältnisse wollten wir andeuten, Anklänge an dolce far niente und mamma mia. Weil die Konkurrenz vor solchen gewarnt hatte.

Das Auto war reizend wie meine Kindheitserinnerungen an gelato e mare und klein wie die Gässchen in malerischen Örtchen. Mein Kollege, eher robust als zierlich gebaut, brauchte einen Schuhlöffel, um hinter das Lenkrad zu passen, ich musste meine Beine unter dem Beifahrersitz verknoten, um die Windschutzscheibe nicht mit einer Kniescheibe zu durchstoßen. Aber es war ohnehin nur ein einziges Mal, dass wir zwei das putzige Nostalgiegefährt verwendeten. Nämlich als uns der Kanzler mit seinem Besuch beehrte.

Das entzückende Vehikel machte den Tag erträglich. Promibesuche aus Wien, Kanzlerbesuche insbesondere, sorgten ansonsten selten für Entzücken. Weil es da meistens befehlshaberisch zuging. Ein Firmenbesuch! Eine soziale Einrichtung! Kein Funktionärstreffen! Kein verbrauchsintensiver SUV für die Entourage! Medien einladen! Interviewtermine vereinbaren!

Wir haben jede Order befolgt und die Kaffeedosis während der Vorbereitungen auf diesen Großkampftag dem Ablästerungsbedarf angepasst, um stimmungsmäßig im Lot zu bleiben. Manche Anweisungen, ich gebe es zu, haben wir augenzwinkernd ignoriert, weil Tirol-inkompatibel. (Aber das bleibt unter uns!)

Nun machten wir uns auf den Weg, der Kollege, der Fiat und ich, um zu sehen, wie Kanzler & Co. durch Fertigungshallen schritten, Arbeitern und –innen die Hände schüttelten, Interesse an Exportzahlen mimten und um tagesaktuelle Befehle entgegenzunehmen. Hier ein Foto! Diesen Satz nicht in die Presseaussendung schreiben!

Wir stiegen ins Auto, wie man in ein Auto steigt. In der Erwartung, den Zündschlüssel zu drehen, den ersten Gang einzulegen und loszufahren. Das mit Schlüssel und stecken funktionierte auch nach erwarteter Art. Doch dann sprach jemand zu uns. Wohl artikuliert, weiblich und weitblickend programmiert. „Sprechen Sie einen Befehl aus!“, sagte die Stimme.

In der Handhabung automatisierter Gesprächspartnerinnen nicht erfahren und eher im Entgegennehmen als im Aussprechen von Befehlen geübt, schauten wir einander ratlos an, der Kollege und ich. „Losfahren!“, versuchte er. „Ins Gewerbegebiet!“, probierte ich. „Licht einschalten!“, „Scheiben wischen!“ Doch die Stimme war mit keinem Auftrag zum Schweigen zu bringen. Im Minutentakt befahl sie uns, einen Befehl auszusprechen. Schließlich versuchten wir es mit „Wählen Sie uns!“, aber auch das führte nicht zum Ziel. So trafen wir den Kanzler und sagten nicht „Grüß Gott“. Wir sagten „Sprechen Sie einen Befehl aus!“

© Christine Mayr 2021-08-04

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